Kandierte Veilchen, der letzte Wilde und kalte Füße

Ein ‚vielsaitiges‘ Wochenende in Füssen

1. Septmeber 2019

 

Tag 2 meiner Stadterkundung von Füssen beginne ich mit Geigenklängen im Ohr. Das Konzert gestern Abend im Rahmen des Füssener Festivals vielsaitig war eine spannende Auseinandersetzung mit dem Motto. Allein der barocke Kaisersaal, in den nur eine begrenzte Zuschauerzahl passt, hat mir das Gefühl gegeben, bei einem sehr exklusiven Konzertabend dabei zu sein.

Von Kulturklängen zu Kulturschätzen zieht es mich heute in die Heilig-Geist-Spitalkirche an der Lechbrücke gleich unterhalb von St. Mang. Ihre bemalte Fassade im Rokokostil ist so auffallend schön, dass sie besonders aus dem Stadtbild heraussticht. Trotzdem bin ich in Eile schon so oft daran vorbeigerauscht. Dieses Mal nicht! Außen ist die Heilige Dreifaltigkeit dargestellt. Auch im Innern beziehen sich die kunstvollen Fresken und Malereien auf den Heiligen Geist. Zudem ist an der Fassade der Schutzpatron der Flößer dargestellt: Johannes Nepomuk. In Museum der Stadt habe ich gelesen, wie bedeutsam die Flößerei für die Stadt und deren Entwicklung war.

Der letzte „Wilde“ in der Stadt

Der Lech war jahrhundertelang eine Lebensader für die Einwohner. Bereits die Römer sollen ihre Waren und Waffen auf dem Wasser nach Augsburg geflößt haben. Im Mittelalter zählte der Lech zu einer der bedeutenden Wasserstraßen im Land. Das durch ein Wehr aus Holzbalken aufgestaute Wasser wurde für die Mahl- und Hammerwerke im Füssener Lechgries genutzt. Mitte des 19. Jahrhunderts wichen die Mühlen den Maschinen der „Mechanischen Seilerwarenfabrik Füssen“. Die Kraft des Lechs wurde als wichtiger Standortfaktor entdeckt und war ausschlaggebend für die Industrialisierung des hiesigen Handwerks. Flachs aus dem Allgäu und Hanf aus Oberitalien wurden zu Seilen und Garnen gesponnen. Nach der Fusion mit der „Bindewarenfabrik Immenstadt“ war die Hälfte der gesamten Produktion der deutschen Hanfspinnereien und Bindfadenfabriken hier vereinigt.

Von der Spitalkirche sind es nur wenige Meter zum Lechufer. Ich schlendere das Faulenbachgässchen entlang. Die Füssener haben eine ganz besondere Beziehung zu „ihrem“ letzten Wilden, dem Lech, das hab ich schon oft in Gesprächen bemerkt. Zum Beispiel mit Getrud Hehl, die seit 1963 im Faulenbachgässchen wohnt und von dort direkt zur Lechschlucht blicken kann. Wir kommen ins Gespräch. Sie erzählt mir, wie sehr sie den Fluss mag: „Man lebt mit ihm. Seine Stimmungen sind jeden Tag anders, so wie der Sonnenauf- und -untergang auch nie gleich sind. Wenn’s in Österreich ein starkes Gewitter hatte, dann kommt er hier statt grün sogar schlammbraun an.“ Getrud Hehl pflegt besondere Schätze entlang des Weges, wie zum Beispiel den Bildstock mit einer Skulptur des Schmerzensmannes aus dem 17. Jahrhundert oder die Grotte, in der Maria in einer Felsnische steht – davor eine kleine Bank geschützt hinter Buchs und Lebensbaum. Eine andere Welt, nur ein paar Schritte vom Fluss entfernt.

Als ich ein bisschen am „Schwalbenlech“, d.h. auf der Kieselbank unten am Lech entspanne und ein kaltes Fußbad nehme, treffe ich nochmal Felicitas Fischbein, die als Meisterschülerin beim Festival vielsaitig dabei ist. Wie recht sie damit hat, dass in Füssen alles so nah beinander liegt. Davon hatte sie gestern gesprochen. Wir unterhalten uns und gucken einfach auf das vorbei fließende Wasser. Wie wohltuend und unangestrengt. Langsam zieht es ein bisschen zu und ich überlege, zum Kurcafé zu laufen. Dort gibt es nämlich eine großartige Köstlichkeit, über die ich mehr erfahren will.

Mit der Sissi-Torte im 7. Himmel

Okay, zugegeben, wenn man ein Stück von dieser Köstlichkeit gegessen hat, schwebt man nicht unbedingt, man bekommt eher mehr Bodenhaftung. Aber die Sissi-Torte ist definitiv eine Sünde wert. Kaum zu glauben, dass ausgerechnet die figurbewusste österreichische Kaiserin Elisabeth, Lieblingscousine von Märchenkönig Ludwig II., diese Kalorienbombe in dem Café gegessen haben soll. Denn zeitgenössischen Berichten zufolge hungerte sie, machte ausdauernde Turnübungen und trank den ausgepressten Saft von Rind- und Kalbsfleisch, um das Altern zu stoppen. Aber: Tatsächlich sagt man ihr auch nach, dass sie eine Schwäche für Süßes hatte, vor allem für kandierte Veilchen.

Der heutige Besitzers des Kurcafés Norbert Schöll erzählt, dass sein Urgroßvater die Konditorei im Jahr 1896 eröffnete und mit seinen Torten, Trüffeln und Kuchen die Gaumen betuchter Gäste und Hoheiten verwöhnte. In dem alten Rezeptbuch seines Urgroßvaters suchte er nach den Zutaten und der Zubereitung für die Sissi-Torte. Und eigentlich ist diese eine Herrentorte.

Genaueres verrät mir Konditormeister Markus Kleiner nicht, aber ich darf zuschauen. Was für ein Glück, aber auch höchst gefährlich, denn am liebsten würde ich mich mit in der Rum-Trüffel-Creme und den kandierten Veilchen irgendwo einschließen und erst wieder rauskommen, wenn alles verputzt ist. Zwischen die Kakaoböden wird Buttercreme geschichtet und mit hauchdünnen Schokoladenspänen überzogen. Am Schluss wird das Werk mit Veilchen und dem Konterfrei der Kaiserin auf weißer Schokolade verziert. Herrlich!

Was für ein Abschluss meines romantischen Kulturwochenendes in Füssen! Genuss auf allen Ebenen. Ich brauche also kein schlechtes Gewissen zu haben. Torte mit kaiserlicher Historie esse ich ja nicht jeden Tag. Ich bin froh, mir eine kleine Auszeit in nächster Nähe genommen zu haben. Genauso aber lohnt sich eine längere Anreise, denn die Stadt am Lech verzaubert mit ihrem mediterranen Flair und ihren Kulturschätzen und ihrer Lage inmitten einer großartigen Naturkulisse.