Engel und Putten

Himmlische Boten – Eine „Engeltour“ durch Füssen

20. Dezember 2022

Im Moment haben sie Hochsaison: Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit umgeben wir uns gerne mit Engeln. Sie werden an Krippen aufgestellt, schweben in Schaufenstern und zieren Kerzen, Anhänger und Postkarten. Die schönsten Engel und Putten sind uns aber sicherlich über historische Bauten vererbt worden. Denn vor allem in der Barock- und Rokokozeit waren sie beliebte Figuren der christlichen Frömmigkeit und sozusagen ein Standardmotiv. Sie traten in bekannten Szenen wie der Begegnung Marias mit Erzengel Gabriel auf oder begleiteten als himmlische Heerscharen die Geburt Jesu. Meistens waren die Engel männlich, später bekamen sie auch weibliche Züge. Mit Flügeln wurden sie in der Kunst vermutlich ab dem 4. Jahrhundert dargestellt.

 

In der Renaissance und vor allem in der Barockzeit zogen dann auch die kindlich wirkenden, nackten Putten in das Dekor von sakralen und weltlichen Bauten ein. Sie lachen pausbäckig von den Emporen, begleiten musizierend das Orgelspiel und wirken auf Gemälden gerne als liebevolle Helfer an der Seite von Heiligen. In Füssens Altstadt mit seinen barocken Kirchen und dem ehemaligen Benediktinerkloster Sankt Mang zeigen sich Engel in allen Formen und Gestalten – auch die „dunkle Seite“ mit dem gefallenen Engel Luzifer ist vertreten. Doch dazu später. Hier ein paar Tipps für eine beeindruckende und manchmal auch überraschende „Engeltour“ durch die Stadt – und zwei „Christkindle“ sind auch dabei.

 

1. Bunter Puttenreigen: Die Bibliothek im ehemaligen Kloster St. Mang

Was für eine Augenweide! Der üppig dekorierte, farbenprächtige Ovalbau mit der einstigen Klosterbibliothek bildet das Zentrum der schlossähnlichen Südseite des ehemaligen Benediktinerklosters. Mit dessen Um- und teilweise Neubau Anfang des 18. Jahrhunderts wollte der damalige Abt auch seine kunstsinnigen Zeitgenossen beeindrucken. In einem Brief an den Ottobeurer Kollegen ist zu lesen, dass er der Nachwelt lieber denkwürdige Bauten hinterlassen wollte als Geld in der Klosterkasse anzuhäufen. So ließ der Füssener Abt das im Mittelalter unregelmäßig „gewachsene“ Gebäude in ein barockes Gesamtkunstwerk verwandeln.

Auch wenn der originale Buchbestand im Zuge der Säkularisation aus den Regalen verschwand, hat die Klosterbibliothek nichts an ihrer Pracht eingebüßt. Überraschend sind neben dem ovalen Grundriss die hohe Kuppel und die ebenfalls ovale Öffnung in der Mitte, durch die der darunter liegende, eher schlicht gehaltene Speisesaal (Refektorium) zu sehen ist. Vermutlich wollte Johann Jakob Herkomer mit seiner ungewöhnlichen architektonischen Konzeption die Einheit von leiblicher und geistiger Nahrung versinnbildlichen, wobei er letztere mit der prachtvollen Gestaltung des Raumes unverkennbar betonte.

Im zweiten Stock säumen lebensgroße Putten die Bibliotheksgalerie. Mit deren Gestaltung  beauftragte Herkomer den bekannten Füssener Barockbildhauer Anton Sturm, dessen Werke auch in anderen Bauten dieser Zeit in der Stadt zu sehen sind. Hier in der Bibliothek repräsentieren die Putten die „septem artes liberales“, die sogenannten sieben freien Künste, eine schon in der Antike festgelegte Auswahl von Studienfächern, die zur „freien“ Bildung eines Menschen beitragen sollten. Dazu gehörten beispielsweise Grammatik, Rhetorik, Geometrie, Astronomie und Musik. So halten die Putten mal eine Schriftrolle in ihren kleinen Händen, musizieren oder vermessen mit einem astronomisches Instrument den Sternenhimmel.

Die Zeit ist auch an diesen Putten nicht spurlos vorbei gegangen und sie haben über die Jahrhunderte die ein oder andere Blessur abbekommen. Wie im Barock üblich, stehen alle Kunstwerke – egal ob Gemälde, Fresko oder Skulptur – in diesem Raum miteinander in Verbindung und so verweisen manche der kleinkindähnlichen Putten auch auf das Kuppelfresko mit den Allegorien der Göttlichen Weisheit, Klugheit, Wahrheit und Erkenntnis sowie auf den Klosterbegründer und Schutzpatron des Allgäus, den heiligen Magnus.

Über dem Eingangsportal zur Klosterbibliothek ist ein von weiteren Putten gerahmtes Wunderwerk zu sehen – wenngleich diese Uhr heute nicht mehr funktionstüchtig ist, weil die ausgeklügelte Mechanik des Uhrwerks während der Säkularisation ausgebaut wurde. Ursprünglich haben die Puttenpaare rechts und links der Türen zur Bibliothek und auch zum Refektorium ein Stockwerk tiefer die Viertelstunden und vollen Stunden geschlagen.

 

2. Reiche Engelschar: Die Basilika St. Mang

Schwierig abzuschätzen. Schreiben Sie am besten unzählige Engel„, meint Bruno Ehrentreich lachend auf die Frage, wie viele von den himmlischen Boten in der prachtvollsten der Füssener Barockkirchen wohnen. Engel und Putten stecken hier im Stuck, in Säulenreliefs, halten Kerzen oder schmiegen sich in Fresken und Gemälden um Wolken und Heilige. „Wer nur flüchtig drüber schaut, wird nicht bemerken, dass sie eigentlich überall sind.“

So wird der Mesner der Pfarrei St. Mang bei seiner Arbeit von hunderten Augenpaaren liebevoll beäugt: „Das ist mein täglich Brot, dass ich von den Engeln beobachtet werde.“ Über 40 Jahre ist er schon im Dienst der Kirche und weiß er um die vielen Details, die er gerne auch Besuchern erzählt. „Die Engelgruppe der Kanzel zum Beispiel ist von Anton Sturm aus einem Holzblock geschaffen worden. Ich finde, sie wirkt sehr lebendig, weil die Engel sich mit Händen, Füßen, Ellenbogen und Knien gegenseitig wegdrücken und darum wetteifern, die Kanzel zu tragen.

Nicht immer aber buhlen die Engel um Gottes Gunst und werden als seine Botschafter lieb, nett und freundlich dargestellt. Links und rechts vor dem Altarraum stehen zwei Luzifer-Leuchter. Luzifer, in der Mythologie des antiken Judentums der „gefallene“ und aus dem Himmel verbannte Engel, ist hier jeweils als Drache dargestellt. „Die Drachen symbolisieren das Böse, doch tragen sie eine Kerze, die für den Glauben und die Gotteswärme steht. Das kann man so interpretieren, dass der heilige Magnus mit dem Christentum das Licht in diese ungläubige Gegend gebracht hat und das Böse jetzt dem Guten dient„, erklärt Bruno Ehrentreich. Einer der Luzifer-Leuchter durfte für eine Engelausstellung auch schon nach Freising auf den Domberg reisen und war dort wohl das Glanzlicht. Die Leuchter sind ebenfalls von einem Füssener geschaffen worden: Thomas Seitz fertigte sie 1723 im damaligen Faulenbach.

In der Sakristei von St. Mang lagern in kleinen Räumen noch mehr Schätze. Zum Beispiel ein vergoldeter Kelch, dessen Schale von einem Engel getragen wird. Er wurde in den USA gefertigt – von dem Füssener Andreas Betz, der in den 1920er Jahren als junger Schlossergeselle dorthin ausgewandert, Goldschmied geworden und vor allem für seine sakralen Kunstgegenstände bekannt war. Bei einem seiner Heimatbesuche im Jahr 1968 schenkte er der Pfarrei St. Mang den handgetriebenen Kelch mit der Engeldarstellung.

 

Im Raum gegenüber lagert vermutlich eine der ältesten Krippen Süddeutschlands, zu der auch ein „Gloria-Engel“ gehört. Die Krippe stammt aus dem Jahr 1628 und wird alljährlich kurz vor Weihnachten in der Kirche aufgestellt.  Im Regal gegenüber lugt unter einem Tuch das barocke, inthronisierte Jesuskind mit einem festlichen Gewand hervor. Es gehört nicht zur Krippe, sondern ist ein eigenständiges Kunstwerk. An Heiligabend holt Bruno Ehrentreich es hervor, damit es in der Christmette in einer feierlichen Prozession durch die Kirche getragen und in einem Tabernakel aufgestellt werden kann. Dort ist es bis zum Ende der Weihnachtszeit am 8. Januar zu bewundern.

 

 3. Geheime Engelmission: Die Krippkirche St. Nikolaus

Wie er da so Wange an Wange mit den anderen Altstadthäusern steht, fällt der barocke Kirchenbau der Krippkirche St. Nikolaus von 1717 kaum auf. So unauffällig in der Reichenstraße gelegen, ist die Kirche selbst auch ein Versteck für eine Besonderheit – und Mesner Bruno Ehrentreich ist jedes Jahr einmal in geheimer Mission als möglichst unsichtbarer Engel in der Stadt unterwegs. Dann trägt er das „offizielle“ Christkind der Stadt, das hinter dem prächtigen Hochaltar in der Sakristei fast ein Jahr auf seinen Einsatz gewartet hat, von der Krippkirche in die Stadtpfarrkirche St. Mang. Dort wird es im Anschluss an die Kindermette am 24. Dezember feierlich und stolz durch die Stadt wieder zur Krippkirche gebracht, auf dem Altar im Thron platziert und mit einem Weihnachtslied besungen. Den Brauch gibt es seit Anfang der 1980er Jahre. Lange Zeit lagerte das Christkind vergessen in der Kirche St. Sebastian, wo es der Vorsitzende des historischen Vereins Alt-Füssen, Magnus Peresson, als damaliger Kirchenpfleger im Sakristeischrank entdeckte. Der damalige Stadtpfarrer ließ es restaurieren und initiierte die kleine, feierliche Prozession für das Jesuskind.

 

4. Gestutzter Engel: Erzengel Raphael in der Heilig-Geist-Spitalkirche

Die reich bemalte Fassade des Kirchenbaus im Rokokostil allein ist schon ein Hingucker. Auf den Fresken, die unter anderem den heiligen Christopherus zeigen, sind bereits die ersten kleinen Engel zu sehen.

Im Innern der Spitalkirche fällt vor allem der Erzengel Raphael links neben dem Chorraum auf. Es ist der Lieblingsengel von Lokalhistoriker Magnus Peresson, der seinem Sohn den Namen des geflügelten Boten gab. Anton Sturm schuf die Skulptur 1757 wohl zeitgleich mit den Seitenaltären der Wieskirche in Steingaden. „Vielleicht ist es der letzte Engel, den er gemacht hat. Eine wunderbare Statue, die ich gerne wieder an ihrem eigentlichen Platz sehen würde„, meint Peresson. Denn er vermutet, dass die Skulptur einst frei auf der Emporenbrüstung der Kirche platziert war, wo der Engel mehr Platz hatte, um seine Flügel auszubreiten, dramatisch vom Himmel zu stürzen und einen jungen Mann namens Tobias davor zu bewahren, von einem großen Fisch gefressen zu werden.

Der Fisch ist hier als Drachendämon dargestellt. Die Geschichte mit Raphael und Tobias geht auf das Alte Testament zurück und wurde zur Barockzeit gerne in sakralen Bildnissen aufgegriffen. Um die Raphael-Statue am jetzigen Platz postieren zu können, wurden laut Peresson die Flügel des Erzengels hinten am Rücken ein Stück weit hineingeschoben, so dass er an der Wand stehen und hier ganz aus der Nähe betrachtet werden kann.

 

5. Schützende Hausengel: Schöne Bildnisse an Füssens Altstadtfassaden

Es lohnt sich, in Füssen den Kopf immer mal wieder in den Nacken zu legen. Nicht nur wegen der bunten mittelalterlichen Fassaden und der interessanten Giebeln, sondern auch wegen der Darstellungen an den Hauswänden.

Ein besonders schönes Steinrelief ist am Wohnhaus des Bildhauers Anton Sturm in der Brunnengasse erhalten. Als Marienverehrer hat er darauf Madonna mit dem Jesuskind verewigt, flankiert von Nepomuk – ein „Modeheiliger“, im Barock in Bayern recht populär wurde – und dem heiligen Antonius als Namenspatron des Künstlers. Rechts oben wacht wie in der Spitalkirche der Erzengel Raphael über den jungen Tobias.

 

Ein paar Schritte weiter ist am Brotmarkt ebenfalls die Madonna mit dem Jesuskind zu sehen, in den Ecken blicken kleine Engel auf die Szenerie. Zuletzt restauriert wurde dieses Fresko vom Historienmaler Kurt Geibel-Hellmeck, der lange Zeit das Haus von Anton Sturm bewohnte.

Vom Brotmarkt geht es über die Franziskaner- und die Drehergasse zur letzten Station der Engeltour, zur Franziskanerkirche St. Stephan. Auf dem Weg dorthin passiert man einen kleinen Torbogen im ersten Stadtmauerring. Das Fresko über dem Torbogen an der Innenseite der Stadtmauer zeigt die sogenannte Ölberggruppe, eine Darstellung der Szene aus dem Neuen Testament, in der Jesus in der Nacht vor seiner Kreuzigung im Garten von Gethsemane betet. Ein Engel zeigt auf den Kelch, der symbolisch für das Blut Christi steht und damit seinen Opfertod am Kreuz ankündigt. Im Mittelalter war die Ölbergdarstellung in mitteleuropäischen Raum stark verbreitet. Sie war in fast jeder katholischen Kirche zu finden und wurde Mitte des 18. Jahrhunderts durch Darstellungen des Kreuzweges abgelöst.

 

6. Klingender Engel: Das Spielwerk in der Klosterkirche St. Stephan

Wer den Kirchenraum betritt, ist wahrscheinlich erst einmal von der prächtigen Ausstattung im Rokokostil beeindruckt, den das schlichte Äußere der Kirche nicht vermuten lässt.

Doch gleich links neben dem Eingang steht in einer etwas dunklen Ecke ein liebgewonnener Schatz der Füssener: Der Christkind-Automat, eine mechanisches Spielwerk aus dem unterfränkischen Münster, das vermutlich über 100 Jahre alt ist und das viele Einheimische noch aus Kindertagen kennen. Immer noch pilgern sie hierher, um das Jesuskind mit einer Münze aus der Miniaturkirche zu locken. Wenn das 20-Cent-Stück in die Kasse fällt, gehen die Lichter wie von Zauberhand an, ein Engel läutet die Glocken, aus dem Brunnen fließt Goldwasser und der kleine Jesus gleitet auf Schienen vor die Kirche, um –  etwas ungelenk – den Betrachter zu segnen.

Solche Automaten waren vor allem in den 1920er Jahren populär und fanden sich häufiger auch in Franziskanerkirchen, deren Orden dafür bekannt war und ist, den Menschen nahe zu sein. Das Füssener Jesuskind hat sich auf jeden Fall in die Herzen der Füssener geschlichen. Bruder Johannes aus dem angrenzenden Kloster erzählt, dass er häufig mit Menschen ins Gespräch kommt, die infolge einer Heirat oder aus beruflichen Gründen weggezogen sind und bei ihren Füssen-Besuchen in die Kirche kommen, um das Jesuskind zu sehen. Früher pilgerten zur Weihnachtszeit auch viele Leute aus dem Umland zu Fuß in die Stadt am Lech, um die große Krippe in der Franziskanerkirche zu bestaunen –  und sich vom Jesuskind segnen zu lassen.

 

Eine Engeltour in Füssen lohnt sich nicht nur zur Weihnachtszeit. Denn allein der Anblick dieser Gottesboten, die in jeder der drei Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam bedeutsam sind, kann Trost, Zuversicht und Freude schenken. Auch Bruno Ehrentreich glaubt an ihren Zuspruch. „Engel gehören zum täglichen Leben dazu. Ich denke, jeder hat schon mal das Glück gehabt, dass etwas in einer kritischen Situation gut ausgegangen ist. Für mich haben da die Schutzengel geholfen.

Das Team von Füssen Tourismus und Marketing wünscht allen Anderszeit-Lesern ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein von guten Mächten getragenes und wohlbehütetes neues Jahr!

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde, die hüteten des Nachts ihre Herde.

Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.

 

Und der Engel sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.

Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“


Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.