Der Mann und das Rad

Florian Hipp macht aus alten Rädern Designobjekte

28. Oktober 2019

„Das ist echt eine Sisyphusarbeit, wenn man alle Teile wieder zusammenbaut“, meint der Füssener Florian Hipp. Dafür sehen alte Drahtesel nach ihrer Kur bei dem gelernten Feinmechaniker gar nicht so aus, als würden sie aus vielen Komponenten bestehen. Sie sind auf’s Wesentliche reduziert. 0815 ist nichts für Florian Hipp. Er hat aus seiner Arbeit ein Kunsthandwerk gemacht. Wenn die Besitzer zum Abholen kommen, müssen sie auf jeden Fall ziemlich genau hinschauen, ob das Designobjekt, das vor ihnen steht, tatsächlich das rostige Teil war, das sie in Hipps Werkstatt im Füssener Magnuspark gebracht haben.

Begonnen hat es mit einem Rennrad aus den 1960iger Jahren, das er von einem Freund geschenkt bekam. Sechs Jahre war er da schon nicht mehr auf dem Rad gesessen. Zu dieser Zeit aber auch ohne Auto und deshalb wenig mobil. Das war 2015. Er beschloss das Rennrad aufzuarbeiten und zwar richtig. Sein Feinmechaniker-Geist kitzelte ihn, er zerlegte das Rad komplett und suchte dilettantisch nach Ersatzteilen. „Ich wollte mir was absolut Cooles machen. Das hat so Spaß gemacht, aus etwas altem Kaputten wieder etwas schönes Neues zu bauen.“ 2016 kam die erste Anfrage, ob Hipp auch als Auftragsarbeit ein Rad umgestalten könnte. Er nahm sie an. Seither hat er ca. 50 Rädern wieder neues Leben eingehaucht. Sein Statement gegen eine „Wegwerfgesellschaft“.

2017 mietete er gegenüber der Altstadt in den ehemaligen Hanfwerken am Lech das sogenannte Nimmerland, eine alte Halle. Und auch die brauchte dringend ein Update. Der Boden war 20 Zentimeter dick mit Staub bedeckt. Er holte vier Tonnen Stahlrohre und zwei Tonnen Holz heraus, verarbeitete 450 Liter Farbe und transportierte jeden Kübel mit dem Fahrrad vom Baumarkt in die Halle- minus 15 Grad Innentemperatur herrschte zu dieser Zeit. Das kann nur ein echter Pioniergeist überstehen – mit einem leichter Hang zur Selbstaufopferung. „Ja, der ganze Prozess des Aufarbeitens eines Rades hat damit etwas zu tun, auch mit Selbstfindung. Ich kann mich dabei in den Wahn arbeiten. Ich glaube, jeder, der mit Kreativität zu tun hat, kennt das. Auch diese tollsten und schlimmsten Momente während des Schaffens. Bei den Fahrrädern gibt es viele Verzweiflungsmomente, vor allem dann, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt haben, was sich dann nicht umsetzen lässt.“

Die Ideen gehen ihm trotzdem nie aus. Obwohl Fahrräder seine Passion bleiben werden, wie er versichert, geht es ihm nicht um diese an sich, sondern wirklich um den Prozess des Erschaffens. Er könnte sich auch vorstellen, Schreibmaschinen zu restaurieren, aber leider werden diese nicht mehr gebraucht. Sein Herz schlägt auf jeden Fall für alte Sachen. Flohmärkte, Haushaltsauflösungen – für Hipp eine Fundgrube für wahre Schätze. So stehen in seiner Manufaktur auch viele Räder einfach zur Deko da. Er findet es zu schade, sie wegzuwerfen, außerdem will er die mit ihnen verbundenen Geschichten erhalten. Zum Beispiel die des Radballvereins Schwangau, der aufgelöst wurde. Die ehemaligen Mitglieder haben ihm ihre Räder geschenkt. Machen kann er daraus nichts, denn sie haben eine andere Geometrie als Straßenräder und sind zu schwer. „Aber so lebt der Verein noch weiter und ich kann das Gute vom Alten bewahren.“ Das ist genau das, was ihn auch reizt, wenn er für einen Kunden ein Rad umbaut. „Es ist spannend, was diese alles mit einem Stück Stahl an Erinnerungen verbinden. Das sind tolle Momente, wenn die Kunden davon erzählen und ich diese später durch meine Arbeit konservieren kann.“ Dafür ist sein Lieblingsmoment der, wenn die Kunden ihr „neues“ Fahrrad abholen.

Bei Komplettrestaurierungen poliert er jedes einzelne Schräubchen. Bei einem Neuaufbau behält er meist „nur“ den Rahmen vom Original, denn oft sind die anderen Teile so alt oder defekt, dass es zu viel Zeit kosten würde, sie aufzuarbeiten. Wenn ein Kunde an einem Teil aber besonders hängt, dann versucht Florian Hipp es natürlich zu restaurieren. Zunächst wird das alte Rad sauber gemacht, komplett demontiert und die Geometrie vermessen, um zu sehen, ob der Rahmen noch in Ordnung ist. Dann wird dieser sandgestrahlt, pulverbeschichtet und mit neuen Teilen aufgebaut. Details sind dem Radkünstler sehr wichtig. Man sieht es zum Beispiel an den winzigen Stickereien im Leder und den handgemachten Holzgriffen. Für den ersten brauchte er zwei Tage. Gibt es ein Lieblingsteil am Rad? „Ja, die Haptik des Leders am Lenkrad.“ Auch empfiehlt er jedem eine guten Ledersattel. „Viele meinen, der sei zu hart. Aber das ist wie bei einem guten Schuh. Die ersten vier, fünf Mal fahren, ist schrecklich. Wenn er eingefahren ist, gibt es nichts Besseres!“

Obwohl seine Fahrräder so stylisch sind, findet er nicht, dass sie nur in der Stadt zu fahren sind. Er selbst tourt damit sogar auf Berghütten. Auch hat er einen Bekannten ein Stück weit begleitet, der zu einer Weltreise mit einem Bambusfahrrad aufgebrochen ist.

Und wenn er neue Idee schöpfen will oder eine kleine Mußepause braucht, dann schaukelt er ein bisschen, da kommt er sofort runter. Drei Schaukelobjekte hat er in seiner Werkstatt installiert – selbst gebaut natürlich. „Ich bin schon immer ein bisschen aus der Rolle gefallen.“ Das scheint ja rund um Füssen öfter vorzukommen. Auch König Ludwig II. war ziemlich hipp und wollte unbedingt ein sogenanntes veloziped haben, das er vom Hörensagen kannte. Wofür, ist nicht ganz klar. Möglicherweise erschien es ihm praktischer von Schloss Hohenschwangau mit dem Fahrzeug zum Alpsee zu gelangen als mit dem Pferd. Auf jeden Fall war er seiner Zeit immer ein Stück voraus – und die Fallschirm-Schaukel hätte er Florian Hipp sofort abgekauft.