Eiskalte Versuchung

Unterwegs mit Füssens Wander-Gelatiere

3. September 2021

Beim Naschen ein schlechtes Gewissen? Ganz und gar nicht! Dieser Mann kann da ganz unbekümmert mit den Schultern zucken. In seinem Beruf ist ständiges Naschen und Verkosten sogar Pflicht. Für Giuseppe Montuori aber eine besonders schöne. „Eis schmeckt einfach saugut und so bekommen meine Kunden meist nur die Reste“, meint der gelernte Speiseeishersteller augenzwinkernd, was natürlich nicht stimmt. Eis ist seine große Leidenschaft und für ihn fast wie ein treuer Freund, der ihn seit Kindertagen durchs Leben begleitet, quer durch Deutschland an traumhafte Plätze führt und vor allem eines beschert: besondere Begegnungen mit Menschen. Dazu gleich mehr.

Willkommen in der süß-leckeren Welt von Beppo, wie der Wahl-Füssener von den meisten genannt wird. In einem Hinterhof am Rand der Altstadt hat der Gelatiere eine Garage zu einer professionellen Eisküche mit Pasteurisierungsgerät, Reifekessel, Eismaschinen und Mixer umgebaut. Hier entsteht Eis, das auf der Zunge zergeht und manch einer wäre sicher gern ein Mäuschen, um sich seine Geheimrezepte und Tricks abzuschauen und des nachts mal so richtig unerhört zu schlemmen. Aber aufgepasst: Wenn Eiswetter angesagt ist – also Sonne und heiße Temperaturen – steht Beppo viele Stunden früh morgens und auch spät nachts in der Eisküche, um seine Kreationen so frisch wie möglich für den Verkaufstag herzustellen.
Bis sein Speiseeis „vernascht“ werden kann, sind viele Arbeitsschritte notwendig. Wer denkt, es müssten nur Milch, Sahne, Zucker und ein paar Früchte oder Aromen miteinander vermischt und dann gefroren werden, der irrt. „Ein Eis muss vollmundig, cremig, nicht zu süß, nicht zu kalt und nicht zu warm sein. Dafür braucht es neben sehr guten Zutaten, die ich vorwiegend aus regionalem und fairem Handel beziehe, auch viel Know-how“, meint der Gelatiere. Ein köstliches Eis ist echte Handarbeit: Die Zutaten müssen bis aufs Gramm genau abgewogen, die Maschinen richtig bedient und es muss streng auf Hygiene geachtet werden. Was viele nicht wissen: Die Basismasse für die verschiedenen Eissorten wird zunächst gekocht. Erst dann werden Sahne, Früchte, Schokolade oder andere Zutaten dazu gegeben und in der Eismaschine unter Rühren zu Eis gefroren. Für die perfekte Konsistenz ist vor allem der richtige Zeitpunkt entscheidend. Lässt man das Eis zu kurz in der Eismaschine gefrieren, ist es zu weich. Ist es zu lange drin, wird es zu fest.

Der Energie- und Arbeitsaufwand ist also ziemlich hoch. Moderne Eismaschinen würden Beppo Arbeit abnehmen, aber er schwört auf seine Boku S40, eine fast 40 Jahre alte Eismaschine mit einem sogenannten Schwert (Spatel), das die Masse vom rotierendem Kessel abkratzt, mit anderen Zutaten vermengt und gefriert. Ein Familienerbstück. „Damit bekommt man ein Gefühl, wie Eis entsteht und ich kann den Prozess noch beeinflussen, ganz anders als bei den neuen Maschinen. Außerdem ist der Lufteinschlag hier ganz natürlich, so wird das Eis schön vollmundig und cremig“, erklärt der Gelatiere.

Fotos: Giuseppe Montuori

Das Eismachen wurde Beppo fast in die Wiege gelegt. Sein Vater kam Anfang der 1970er Jahre als Gastarbeiter aus Italien nach Deutschland. Hier machte er sich nach einigen Jahren als Gelatiere selbstständig. So war Beppo schon als kleines Kind dabei, wenn sein Vater im Sommer mit seinem Eisbus täglich in die umliegenden Ortschaften fuhr, wo die Menschen schon sehnsüchtig auf den Eismann warteten. Der Vater sparte Geld, um sich in der Fußgängerzone von Wissen im Westerwald seinen Traum von einem eigenen Eiscafé zu verwirklichen. Mit 13 Jahren half Beppo dort bereits fleißig mit und er kann sich noch gut daran erinnern, wie neugierig er war, als ihn sein Vater in die Kunst des Eisherstellens einweihte. In Italien ist es ein traditionelles Handwerk, das von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Foto: Giuseppe Montuori

In Deutschland war das Herstellen von Eis lange kein eigener Ausbildungsberuf. Erst ab 2008 konnte man bundesweit eine Lehre zum „Speiseeishersteller“ absolvieren, davor gab es in den einzelnen Bundesländern eigenständige Lösungen. 2014 verlängerte sich die Ausbildung um ein auf drei Jahre zur „Fachkraft für Speiseeis“. Sie vermittelt neben der Eisproduktion auch Kenntnisse in Service und Verkauf sowie kaufmännische Grundlagen für eine mögliche Existenzgründung. Für Beppo war und ist es sein Traumberuf. „Eis ist für mich Begeisterung pur. Ich bin ein Kind geblieben und noch immer von Eis fasziniert, wie es entsteht und wie ich immer wieder neue Sorten kreieren kann.“
Foto: Giuseppe Montuori

Doch es geht nicht nur ums Eis allein. Einige Jahre führte er das Eiscafé seines Vaters zusammen mit seiner Frau fort. Als ihr erster Sohn geboren wurde, kam das Paar ins Nachdenken: Wie sollte ihr Leben als Familie aussehen? Was wünschten sie sich für ihren Nachwuchs? Eigentlich war er sehr glücklich mit dem Café. „Ich habe es bis zu diesem Zeitpunkt wirklich geliebt und gelebt“, meint Beppo, „aber mit einem festen Laden waren wir auch sehr gebunden. Dann schickte mir der Himmel gleich ein paar Zeichen“, meint Beppo.
Foto: Giuseppe Montuori

Eines davon war eine historische Eiskutsche aus den 1970er Jahren, ein Unikat, das ihm angeboten wurde und „sozusagen gegen den Rheinstrom aus Köln zu mir nach Wissen kam.“ Das Gefährt brachte den Stein endgültig ins Rollen. Neben dem Eiscafé ging er nun an vielen Wochenenden mit seiner schönen Eiskutsche auf Events. Das Unterwegssein, so wie er es als Kind kennengelernt hatte, beflügelte sein Glück. „Da habe ich gespürt, dass ich ein anderes Leben führen und neu anfangen möchte“, erzählt der Italiener, „ich wollte mich wieder frei bewegen, rausgehen und Neues entdecken. Ich brauche die Abwechslung einfach.“ Dafür aber musste er das Lebenswerk seines Vaters loslassen, das inzwischen auch ein wichtiger Teil seines eigenen Lebens geworden war. Es war ein langer, schrittweiser Prozess. Nach vielem Abwägen und Gesprächen mit seiner Familie wurde das Eiscafé schweren Herzens verkauft und Beppo und seine Frau machten sich auf die Suche nach einer neuen Heimat.

Die Wahl fiel auf Füssen. „Das war auch eine ganz glückliche Fügung. Wir kannten die Stadt und die Umgebung schon aus einem gemeinsamen Urlaub mit meinen Schwiegereltern aus Hongkong. Es hätte aber auch die Nordsee, Vancouver oder eben Hongkong werden können, wo wir hingehen. Nachdem klar war, dass wir doch in Deutschland bleiben wollten und meine Frau sich Berge und viel Wasser wünschte, waren wir nochmal hier. Füssen, die traumhafte Landschaft und Schloss Neuschwanstein haben einfach eine ganz eigene Magie und da wusste ich, dass wir hier glücklich werden können.“
So kam das Paar 2010 nach Füssen und Beppo stellte dem zuständigen Landratsamt und der Stadt sein Konzept vor, eine Garage zu einer Eisküche umzubauen und mit einer Eiskutsche durch Füssen zu touren. Er bekam die Konzession – und seine Kutsche wurde festlich in Füssen eingeweiht und später auch vom Augsburger Bischof gesegnet, was Beppo besonders wichtig war. „Denn das ich das so machen darf, ist letztendlich ein Geschenk des Himmels“, meint der Wahl-Füssener. So ging bald der Vorhang auf für Beppos Traum.

Das Eis ist fertig. Jetzt geht’s mit der Eiskutsche mitten hinein in die Füssener Altstadt. Zuvor wird aber noch sein Markenzeichen fein gezwirbelt: der Schnauzer. Der Blick in den Spiegel ist sein kleines Ritual, bevor es auf die Straße geht. Sobald „Eiswetter“ ist, fährt der Gelatiere verschiedene Plätze in der Altstadt an und verwöhnt Einheimische wie Gäste mit seinen Eiskreationen. Wenn er mit seiner Kutsche durch die bunten Gassen tingelt, sorgt er für viele Lacher und die Menschen zücken spontan das Handy oder den Fotoapparat, um den Moment festzuhalten. Einheimische hören die kleine Glocke läuten und kommen auf die Straße, um sich ein Eis zu gönnen und ein kleines Schwätzchen mit ihm zu halten. Gerne tauscht er dabei eine Kugel Eis gegen einen Espresso ein wie hier vor dem Weltladen in Füssen, der neben der Sennerei in Hopferau und dem Dorfladen in Weißensee auch verschiedene Eissorten von Beppos Eismanufaktur im Sortiment hat. „Durch die Eiskutsche habe ich nicht nur zu Gästen, sondern auch zu Einheimischen Kontakt. Sie hat mir dabei geholfen, mich hier zu integrieren“, meint Beppo.

Wo der Gelatiere auftaucht, wird er schnell zum Mittelpunkt. Nicht nur wegen seiner eiskalten Köstlichkeiten. Vielmehr geht es um die Begegnung. Sie ist das, was ihn letztendlich antreibt. „Wenn richtiges Gelatieriwetter ist, dann lacht mein Herz, weil die Menschen gut drauf sind. Ich liebe die Sonne, ich liebe die Begegnung. Von arm bis reich, von jung bis alt – bei mir geht es nicht um die Position, die eine Person innehat, sondern um den Menschen, den ich in diesem kurzen Augenblick begegnen darf.“ Manch einen nimmt er ein Stück auf dem Fahrersitz mit und wechselt spontan seine Rolle vom Eisverkäufer zum Gästeführer. Dann gibt er Tipps, was „Gast“ unbedingt gesehen haben sollte und macht Werbung für einen längeren Aufenthalt in der Stadt. „Ich mag Füssen einfach. Die ganze Welt ist hier zu Gast und trotzdem ist es klein und überschaubar.“


Fotos: Giuseppe Montuori

Gerne arbeitet er mit Künstlern zusammen. Mit dem angesehenen Künstlerpaar Olga & Pierino verbindet ihn mittelweile eine wunderbare Freundschaft. „Ich habe viel von den beiden gelernt: genügsam zu sein, Leidenschaft für eine Sache zu haben und wie man die Wirkung von Dingen entfalten kann.“ Auch seine Anwesenheit in der Stadt ist mehr als reiner Eisverkauf. Es ist ein Auftritt – mit Beppo in der Hauptrolle. Sein Eis setzt er so wirkungsvoll in Szene. Theaterreif. Sein Publikum liebt es auf jeden Fall. „Kinder und älteren Menschen begegne ich besonders gerne. Ich kann direkt in ihren Augen sehen, wie sie sich über eine Kugel Eis freuen“. Altenheime, Kindergärten, Unternehmen – an heißen Sommertagen bestellen sie Beppo mit seiner Eiskutsche gern direkt vors Haus. Für ihn sind solche Buchungen ein weiteres, wichtiges Standbein. Firmenfeiern, Hochzeiten, exklusive Events – mit einem speziell für die Eiskutsche gefertigten Hänger steuert er auch weit entfernte Orte an. So war er u.a. schon in Augsburg, München, Nürnberg, Leipzig und Klagenfurt. Bislang gab es nur einen Ort, den er mit seinem Gefährt nicht erreicht hätte. „Die Anfrage von der Rohrkopfhütte am Tegelberg musste ich leider absagen. Dort hinauf zu fahren, wäre viel zu steil gewesen, leider.“


Fotos: Giuseppe Montuori

Seine historische Eiskutsche, die in den 1970er Jahren von einem Kutschenbauer im Schwarzwald als Unikat gefertigt wurde, bekam vor ein paar Jahren übrigens einen hochmodernen Antrieb – emissionsfrei, das war Beppo wichtig. Als Projektarbeit an der Hochschule Kempten ausgeschrieben, wurde das „Antriebskonzept für einen historischen Eisverkaufswagen“ von einer Studentengruppe entwickelt. Ziel war es, eine energieeffiziente und nachhaltige Lösung zu schaffen. Keine leichte Aufgabe. Immer wieder mussten die Studenten nachjustieren. Nach einem dreiviertel Jahr konnte der Umbau bei einem Füssener Unternehmen in Auftrag gegeben werden. Doch bei der ersten Probefahrt stellte sich heraus, dass ein falsches Getriebe geplant worden war. Nervenaufreibend für den Gelatiere, denn die Saison hatte schon längst begonnen. Doch mit einem weiteren Umbau konnten die Fehler behoben werden und Beppo ist seitdem emissionsfrei in der Altstadt von Füssen unterwegs.
Jetzt wird es aber Zeit für eine kleine Pause. Die Saison ist kurz und knackig. Also: Luft holen und den Sonnenschein genießen. Gerne gönnt sich Beppo zwischendurch auch selbst eine Kugel seines handgemachten Eises. Seine Lieblingseissorte: alle! Joghurt-Mango, Lime Dreams, aber auch die Klassiker Schoko, Vanille und Nuss nascht er sehr gerne – am liebsten zusammen mit anderen. Auch im Winter mag er Eis, allerdings ohne Kalorien: an den gefrorenen Seen und auf den Bergen – in einer sternbeleuchteten Nacht mit Vollmond. Bis dahin ist es aber noch ein bisschen hin, zum Glück. Erst mal ist Naschen angesagt. Ganz ohne schlechtes Gewissen.

Weiterführende Informationen finden Sie auf Beppo´s Website unter www.montuori.de.