Auf dem Bergrücken wohnt das Glück

10. Oktober 2023

Das ist keine Fototapete. Ehrlich. Dieser Ausblick „gehört“ der Familie Schneider. Das Beste daran? Die Schneiders in Weißensee-Vorderegg vermieten auf ihrem Hof Ferienwohnungen und ihre Gäste sehen dieses Panorama mit dem Weißensee, den Alpengipfeln und dem Hohen Schloss über der Altstadt von Füssen an jedem Urlaubstag: beim Zähneputzen auf der Terrasse, beim Sonnenbaden auf dem Balkon oder beim Essen vom Stubenfenster aus. Auch auf dem Spielplatz und beim Weg zum Stall oder beim Eintreiben der Kühe wandert die Aussicht immer mit.

Das Licht beleuchtet die Landschaft immer wieder anders. Das sind ganz extravagante Stimmungen. Mal beleuchtet die Sonne wie ein Scheinwerfer den Weißensee, mal glühen die Berge rot“, erzählen Ingrid und Josef Schneider und ihre Augen leuchten dabei auf. Gerne gönnt sich das Gastgeberpaar abends nach getaner Arbeit einen ruhigen Moment und ein Glas Wein auf der Bank vor dem Stall. Sie gehören zu den Menschen, die auch noch nach Jahrzehnten Dasein an demselben Platz Schönes immer wieder neu wahrnehmen. Und das spüren die Menschen, die zu ihnen kommen – und lassen sich davon anstecken.

 

Den Hof gibt es laut Chronik schon seit dem Jahr 1400. In Familienbesitz ist er seit Anfang des 19. Jahrhunderts, als Josef Schneiders Urgroßvater ihn kaufen konnte. Die Natursteinmauern des alten Hofgebäudes sind heute noch im Keller erhalten.

In den 1930er Jahren bauten seine Großeltern den Dachboden aus, um die ersten Gäste „aus der Stadt“ zu empfangen, die sich auf dem Land erholen wollten. Mit ihren wehenden Kleidern und schicken Anzügen standen sie nach ihrer Anreise mit Zug und Bus in einer völlig anderen Welt und wurden mit dem Molkekarren an der Haltestelle abgeholt, damit auch ihr Gepäck aufgeladen werden konnte. Auch sonst war das Leben einfach. Fließendes Wasser gab es damals nicht, stattdessen bekamen die Gäste eine Kanne und eine Waschschüssel mit auf’s Zimmer.

Um die „Sommerfrischler“, wie die Gäste genannt wurden, während ihres Urlaubs zu unterhalten, führten die Trachtler den traditionellen Holzhackertanz auf und demonstrierten leichtfüßig ihre Kraft beim Holzspalten. Dass sie nur im Sommer anreisen konnten, hatte seinen Grund: Für Gästebeherbergungen im langen Winter fehlte es an Heizmöglichkeiten und Infrastruktur.

In den 1950/60er Jahre, als Reisen und Landurlaub im wirtschaftlichen Aufschwung immer populärer wurden, kamen auch nach Vorderegg immer mehr Urlauber. Es war Josef Schneiders Aufgabe, sie als junger Bub – immer noch mit dem Molkekarren – abzuholen. „Die Gäste wurden damals gesammelt mit dem Bus hierher gebracht und dann vom Vorsitzenden des Verkehrsvereins auf die umliegenden Höfe verteilt. Keiner wusste also vorher Bescheid, weder wir noch die Urlauber, bei wem sie ihre Zeit verbringen würden.

Es war selbstverständlich, dass Josef Schneider und seine zwei Geschwister während des Sommers in einem Zimmer zusammen schliefen. So konnten zwei weitere Zimmer an die Urlauber vermietet werden. „Das hat mir nichts ausgemacht, ganz im Gegenteil. Im Sommer war bei uns immer etwas los, weil auch Kinder auf den Hof kamen. Nur später war das nicht mehr so toll, wenn die Gäste bis spät abends bei uns im Wohnzimmer auf der Couch saßen“, erzählt der Landwirt. Es war der einzige Aufenthaltsraum im Haus und die Urlauber konnten morgens ausschlafen. Für ihn und seine Eltern aber begann die Arbeit auf dem Hof wieder ganz in der Früh. Deshalb bauten sie 1977 ein Haus mit Ferienwohnungen nebenan. 1978 übernahm Schneider den Hof von seinem Vater, seit 2013 führt ihn sein Neffe.

 

Oh, wir haben kurz vor halb vier„, sagt Josef Schneider mitten Gespräch, „da muss ich pünktlich bei den Kühen sein zum Derzuazeine.“ Damit meint der Landwirt, ihnen ein frisches Stück Weide zu geben. So ganz ist er also aus der Bauernhofarbeit nicht raus. Im und außerhalb des Stalls hilft er seinem Neffen immer noch mit. Auch eine störrische Kuh wird von ihm gemolken, damit sie den Betrieb nicht aufhält.

Schneider setzt seinen Strohhut auf den Kopf und tuckert mit dem Traktor zur Weide. Hier grasen die Kühe – ebenfalls mit bester Aussicht über die traumhafte Landschaft – friedlich in der Sonne. Doch kommen sie schnell in Bewegung, um ans saftige Grünfutter zu kommen, als der Landwirt den Zaun neu steckt. Die Kühe wurden bei Schneiders schon immer ausgetrieben. Seit ihr Neffe den Hof auf Biolandwirtschaft umgestellt hat, ist es sowieso vorgeschrieben. „Wir haben hier so tolle Weiden ringsherum, das würde nicht zu uns passen, sie nur im Stall zu halten.

 

Bei allen Aktivitäten rund um den Hof können die Urlauber dabei sein: Mit dem Traktor fahren, die Kühe morgens auf die Weide treiben oder sie abends wieder in den Stall holen und mit Heu füttern. Nicht nur für die Kinder ein echtes Erlebnis!

Die meisten Familien planen ihr Freizeitprogramm nach den Hofzeiten, damit sie dabei sein und mithelfen können. „Gerade unsere Gäste aus den großen Städten wollen ihrem Nachwuchs die Natur und das Ursprüngliche wieder nahe bringen und zeigen, woher die Milch kommt und dass eine Kuh eben nicht lila ist“, meint Ingrid Schneider. „Wir haben auch einige Stammgäste, die schon selbst als Kinder hier waren. Das finde ich besonders nett, wenn die Eltern ihren eigenen Kindern das schenken, was sie selbst erlebt haben.“ Am Thema Landwirtschaft seien sowieso die meisten Urlauber sehr interessiert, berichten die beiden und freuen sich darüber: „Viele Bauern leiden darunter, dass ihre Arbeit kritisch gesehen wird. Aber wie wir die Landwirtschaft betreiben, wird von unseren Gästen sehr positiv gesehen.

 

Ingrid Schneider holt die drei Ponys von der Weide. Zweimal die Woche ist Ponyreiten, was besonders bei den Mädchen beliebt ist. Vor dem Ausreiten werden Bonny, Lilly und Jupi gestriegelt.

 

Im Ponystall gibt es inzwischen auch eine große Bildergalerie, die Ingrid Schneider pflegt. Sie schweißt die Kinderwerke in Folie, damit diese nicht so schnell verblassen und abgewischt werden können. Dann holt sie ein gerahmtes Bild hervor, ebenfalls gestaltet von Gästekindern. Es zeigt ein Foto von Gisbert, dem einäugigen Kater, der der Liebling vieler Urlauber war. Er ist im letzten Jahr gestorben. „Das ist wirklich rührend zu sehen, wie sehr das mit den Tieren die Kinder beschäftigt. Ich bin ohne Tiere aufgewachsen und finde es schön, dass ich jetzt immer welche um mich herum habe. Mir liegen sie sehr am Herzen.

Die Landwirtin hat sogar Reitunterricht genommen, damit sie die Ponys richtig führen kann. „Ich muss ja wissen, wie das mit einem Ross geht. Da habe ich ein schönes neues Hobby“, sagt sie und lacht dabei.

Ingrid Schneider genießt auch die schönen Gespräche mit den Gästen, die sich während des Ponyreitens oft entwickeln. „Ich kann mir Namen nicht so gut merken, aber dafür das, was die Leute beschäftigt. Das weiß ich auch noch beim nächsten Mal, wenn sie wiederkommen.

Die meisten ihrer Gäste aus Deutschland, aber auch US-Amerikaner haben schon das Landleben bei ihnen genossen. „Wir hatten schon Leute aus Kirgisien und Kasachstan hier. Das ist für uns natürlich spannend, wenn sie von ihrem Heimatland erzählen“, berichtet Josef Schneider, der ebenfalls immer bei den Ausritten dabei ist.

 

Bildnachweis: Ferienhof Schneider

Jedes der 55 Tiere hat übrigens einen Namen, selbst die „Schumpen“, die Jungkühe, die üblicherweise erst nach dem ersten Kalben einen Namen bekommen. Dafür war Elisabeth, die Tochter von Schneiders Neffen, verantwortlich: Die Familie Schneider hat eine Alpweide am Füssener Jöchle gepachtet – mit einem ausrangierten Lifthäusle als „Alphütte“. Ein Hirte kümmert sich dort um das Jungvieh, aber auch die Schneiders selbst machen gerne einen Sonntagsausflug dorthin.

Als Josef Schneider beim letzten Alpbesuch die Nummern der Ohrmarken laut über die Weide rief, um zu prüfen, ob alle „Schumpen“ da sind, hakte Elisabeth diese auf einer Liste ab, auf die sie zuvor einen Namen samt Mutter- und Vaternamen geschrieben hatte.

 

 

Hinter dem Stall des Schneiderhofs lagert ein großer Haufen mit Hackschnitzel. Alle drei Häuser der Schneiders werden über eine Hackschnitzelheizung mit Wärme versorgt. Das Holz dafür kommt hauptsächlich aus ihrem eigenen Wald.

Denn das Thema Nachhaltigkeit ist der Familie wichtig. Die Photovoltaikanlagen auf dem Ferienhaus und dem Geräteschuppen liefern 30 Kilowatt Strom pro Tag und damit mehr, als sie und ihre Gäste verbrauchen. Der Rest wird ins allgemeine Stromnetz eingespeist. Heißes Wasser wird mit der Solaranlage auf dem Bauernhaus produziert. Mit diesem Gesamtkreislauf ist der Hof energieautark. Der Bauerngarten ist so angelegt, dass viele Insekten darin Nahrung finden.

 

Die Bio-Milch der 28 Kühe auf ihrem Hof liefert die Familie an die Molkerei in Kimratshofen, ein Teil davon wird zu Käse und Butter der regionalen Biomarke „Von hier“ verarbeitet. Gerne klemmen die Gäste ihre Käsebestellung zwischen die Steine vor Schneiders Haustüre oder auch einen Zettel für die Semmeln, die ihnen die Gastgeberin am nächsten Morgen vor die Türe hängt.

Ingrid Schneider ist es wichtig, dass ihre Gäste auf dem Hof eine echte Auszeit haben und hier einfach Natur und Ausflüge genießen können. Spaß macht ihr auch das Einrichten und Umgestalten in den Ferienwohnungen: „Die Gäste sehen und mögen, was wir machen. Ich schau mir zwar gerne Prospekte darüber an, was gerade Trend ist und lasse mich davon inspirieren, aber ich finde, die Einrichtung sollte zum Allgäu und seinen Traditionen passen. Viel Holz, eine Eckbank und schöne Vorhänge, das ist doch gemütlich.

Schöne Momente draußen fängt Ingrid Schneider gerne mit der Kamera ein. So hängen in den Ferienwohnungen Fotos von ihr an den Wänden, die sie auf Leinwand ziehen lässt. Als leidenschaftliche Fotografin sieht sie sich dennoch nicht. „Ich mache das ganz spontan. Einfach ein Schnappschuss oder eine tolle Stimmung, die mir gefällt.

Wandern, Radfahren oder einen Musicalabend auf dem Forggenseeschiff genießen – das, was ihre Gästen im Urlaub mögen, macht das Ehepaar Schneider auch selbst gerne. So können sie ihnen immer gute Tipps geben.

Direkt vom Schneiderhof aus starten Wanderwege u.a. hinauf zum Falkenstein mit der höchstgelegenen Burgruine Deutschlands. An diesem Platz wollte Bayernkönig Ludwig II. nach Neuschwanstein und Linderhof ein weiteres Märchenschloss erbauen. „Wir sind Ludwigverehrer. Er wollte kein Elend, sondern Frieden schaffen. Und mit Neuschwanstein hat er der Nachwelt wirklich ein Juwel hinterlassen und so viel für die Region bewirkt. Dieses Schloss muss man einfach mal gesehen haben“, findet das Gastgeberpaar. „Auch die Wege am Alpsee mit einer Traumaussicht auf beide Königsschlösser sind Idylle pur.

In ihrer Wohnstube hängt ein wertvolles Dokument – der Hilfeaufruf des Königs. Diesen hatte Ludwig II. als Flugblatt verteilen lassen, kurz bevor er in Schloss Neuschwanstein wegen angeblicher Unzurechnungsfähigkeit gefangen genommen und nach Schloss Berg gebracht wurde. Er bat darin die hiesige Bevölkerung, die ihm sehr zugetan war, um Unterstützung gegen diese Pläne seiner Regierung. „Der König ist auf seinem Weg zum Falkenstein wohl häufiger mit der Kutsche durch Weißensee gefahren und hat sich hier mit den Bauern unterhalten, wohl auch mit meinem Urgroßvater“, vermutet Josef Schneider. Dieser habe das Flugblatt als wichtiges Dokument aufgehoben und wie einen Schatz verwahrt.

 

Der Tag neigt sich dem Ende zu. Die Sonne schickt ein paar letzte Strahlen auf den Weißensee. Auch Katze Blacky lässt sie sich noch einmal auf den Bauch scheinen. Ingrid Schneider bringt die Hasen zurück in den Stall. Die Urlauberfamilien ziehen sich in ihre Wohnungen zurück, um die müden Kleinen ins Bett zu bringen. Morgen beginnt ein neuer aufregender Tag – mit Kühe austreiben, Traktor fahren und Ponyreiten. Zeit für das Abendritual des Gastgeberpaars, das nur ihnen beiden gehört. Auf der Bank sitzend, mit Blick zum Sonnenuntergang gießt Josef Schneider seiner Frau ein Glas Wein ein. „Wir fahren ja auch mal in Urlaub, aber wenn wir zurückkommen, stellen wir immer fest: Bei uns ist es doch am schönsten.