Von der Stadt in die Wildnis!

Kleine und große Entdecker auf Auwaldsafari

8. August 2019

Regenwaldfeeling und trotzdem klebt das Shirt nicht am Körper? Das geht! In Füssen zum Beispiel. Warum mit dem Flugzeug ans andere Ende der Welt fliegen, wenn das Abenteuer so nah ist? Zwanzig Minuten zu Fuß von der Stadt am Lech entlang und schon zeigt sich ein besonderes Stück Landschaft. Eines, das neben dem Wattenmeer zu den artenreichsten Geotopen Deutschlands zählt: Ein Auwald. Sein Baumeister ist der Lech, der vor Füssen nach ganz ungezähmt fließen kann.

Wer den Uferweg von der Stadt Richtung Lechfall läuft, hört nach einem kleinen Anstieg schon dessen kräftiges Rauschen. Auf dem Maxsteg, der nach dem Vater des Märchenkönigs Ludwig II. benannt ist, hat man zur einen Seite eine großartige Aussicht auf die Schlucht mir Ihren Felsformationen, durch die das türkisgrüne Wasser rauscht. Sie ist die letzte im bayerischen Alpenraum, durch die ein größerer Alpenfluss noch frei und ungehindert fließen kann. Richtung Süden sieht man hinter dem Kaskadenwehr schon auf der linken Uferseite den Auwald. Und der ist für kleine wie große Entdecker ein richtiges Abenteuer.

Ein toller Einstieg ist der 480 Meter lange und 21 Meter hohe Baumkronenweg, der zum Walderlebniszentrums Ziegelwies (WEZ) gehört. Von hier oben hat man tolle Ausblicke auf die Wildflusslandschaft des Lechs und ins Gebirge. Was für ein Gefühl, über den Baumwipfeln zu schweben! Unten führen zwei Erlebnispfade durch das ganze Gebiet, das sich auch auf die gegenüberliegende Seite in den Bergwald hinein erstreckt. An den einzelnen Stationen des Walderlebniszentrums erfährt man zum Beispiel, wie der Wald klingt und welche Kraft das Wasser hat.

Wer auf diesen aneinandergereihten Baumstämmen balanciert, weiß hinterher, wie weit man klettern müsste, um eine Giraffe hinter den Ohren zu kitzeln oder in der Krone eines Mammutbaums zu sitzen. Und auch das Floß ist nicht immer für eine Pause da. Denn wenn der Wasserstand vom Lech höher ist, hilft es kleinen Fährmännern dabei, sich über das Wasser zu hangeln. Im Zentralgebäude selbst gibt es feste und wechselnde Ausstellungen rund um den Wald und die Natur, die für Kleine wie Große gleichermaßen spannend sind. Es lohnt sich auf jeden Fall eine Erkundungstour mit einem Ranger mitzumachen, aber das Gebiet kann auch prima in Eigenregie erkundet werden. Außerdem hat man dann genug Zeit, die Natur und ihre Schätze ganz für sich zu entdecken und auch wirken zu lassen. Gerade der Auwald entpuppt sich als Überraschungspaket.

Doch was ist so besonders an einem Auwald? Er ist ein naturkundlicher Schatz und dieser entsteht aus Umlagerungsstrecken des Lechs, der schnell und oft seinen natürlichen Lauf verändert. Durch den ständigen Wechsel von nassen, feuchten und trocknen Gebieten entstehen sehr unterschiedliche Lebensräume für viele Pflanzen und Tiere. Darunter sind auch viele seltene oder sogar bedrohte Arten wie zum Beispiel die Wasseramsel oder der Flussregenpfeifer. Im WEZ-Auwald gibt es von dieser Art mehr Brutpaare als in der gesamten Schweiz. Der Auwald in Füssen sieht nicht nur also völlig anders aus als der Bergwald direkt oberhalb, sondern hat auch ganz andere Bewohner, darunter viele Überlebenskünstler. Denn regelmäßig werden große Bereiche überflutet, zum Beispiel durch die Schneeschmelze in den Alpen oder wenn es stark regnet. Während dieser Überflutungsphasen sind die Pflanzen hohem Stress ausgesetzt: Eigentlich könnten sie nicht mehr atmen, weil ihnen der Sauerstoff fehlt und der starke Zug des Wassers könnte sie mitreißen. Doch die Auwaldpflanzen haben sich den Bedingungen angepasst. Sie wachsen schnell und wissen diese für sich zu nutzen. Pfahlwurzler hätten hier keine Chance. Deshalb bilden die Pflanzen starke Herzwurzelsysteme mit Hohlräumen aus. So fließt das Wasser durch und sie können sich besser halten. Um den Widerstand bei (Wasser-) Druck so gering wie möglich zu halten, sind ihre Äste sehr biegsam und die Blätter meist schmal. Brechen trotzdem Zweige ab, dann können sich viele der Pflanzen vegetativ vermehren, sobald die Zweige ans Ufer geschwemmt werden. Das heißt: aus den Zweigen sprießen Wurzeln. So wächst ein Ableger.

Diese Weiden sind echte Pioniere! Sie verhelfen anderen Pflanzen zu neuem Lebensraum. Obwohl es ziemlich unwirtlich ist auf solchen Kies- und Sandbänken zu wachsen, „schnappen“ sie sich das Gebiet und besiedeln es schnell. Zwischen ihnen lagern sich Sedimente und Nährstoffe ab, aus der langsam eine Art Oberboden entsteht. Auf diesem können nun auch andere Pflanzen wachsen. Auch das Rohrglanzgras, das echtes Dschungelfeeling hat, ist so eine Pionierpflanze, ebenso Erle, Birke und Schwarzpappel.

Den Menschen erweisen Auwälder einen unschätzbaren Dienst: Sie dienen – ähnlich wie Moore – dem natürlichen Hochwasserschutz. Sträucher und Bäume verlangsamen die Geschwindigkeit der Wassermassen. In Rinnen und in Mulden sammelt sich wie in einem Auffangbecken überschüssiges Wasser, die Bäden saugen es wie ein Schwamm auf. Auf diese Weise regulieren Auwälder extreme Wasserstände. Zudem helfen sie dabei, das Grundwasser sauber zu halten. Echte Abenteuer wissen zu schätzen, was die Natur ihnen alles schenkt. Ein stiller Moment, um danke zu sagen – für die Zeit und die vielen kleinen Wunder, die oft gar nicht so weit entfernt sind, wie wir meinen.