Natur-Kümmerer

Was der Naturschutz-Gebietsbetreuer Tom Hennemann im Winter macht

8. März 2023

„Uhuuu, uhuuu.“ Tom Hennemann wechselt seine Stimme von einer tiefen zu einer höheren Tonlage. „Aber die Uhus selbst machen das viel schöner“, lacht er. Tom ist Naturschutz-Gebietsbetreuer für das Gebiet am Ostallgäuer Alpenrand. Was das genau bedeutet, darüber reden wir später. Und ein paar weitere Vogelrufe wird es auch geben.

Tom beginnt seine Arbeit an diesem Wintertag mit dem Aufhängen neuer Informationstafeln zum Thema Naturschutz im Winter und ich darf ihn heute begleiten.

 

Wintertafeln zeigen den Weg durch die geschützte Natur

Tom möchte die neuen Winterinformationstafeln so schnell wie möglich installieren.  Also fahren wir zunächst ins Achtal, das Füssens Nachbargemeinde Pfronten mit dem Tannheimer Tal verbindet.

Die neuen Schilder zeigen die Schutz- und Schongebiete rund um Breitenberg und Aggenstein. „Im Winter ist es besonders wichtig, sich vom Lebensraum der Wildtiere fernzuhalten“, erklärt Tom, „Ruhe ist für Wildtiere im Winter das Wichtigste.“ Mit seinem Wanderstock zeichnet er eine einfache Grafik in den Schnee: eine Linie für die Energiereserven, die das Tier in den Monaten vor dem Winter aufgebaut hat, und eine Linie für seinen Energieverbrauch im Winter. „Wenn ein Tier gestört wird und flüchtet, braucht es plötzlich zusätzlich Energie“, sagt er. Er zeichnet eine Spitze in die Energieverbrauchslinie ein: „Wenn das zu oft passiert, kann das zur Entkräftung und sogar zum Tod des Tieres führen.“ Deshalb ist es essenziell, dass Winterwanderer auf den Wegen bleiben, tagsüber wandern und die Lebensräume der Wildtiere meiden. Allerdings: Wenn man nicht gerade Tom Hennemann heißt, weiß man vielleicht nicht genau, wo sich die Tiere im Winter verstecken. Deshalb werden im Winter spezielle ‚Schutz- und Schongebiete‘ ausgewiesen, die man bei seiner Wanderung nicht betreten sollte. Vor allem an beliebten Routen hängen dann große Informationstafeln, auf denen man sehen kann, wo diese Gebiete liegen.

 

Faules und totes Holz als Grundlage für neues Leben

Nachdem unsere erste Aufgabe des Tages erledigt ist, fahren wir ins Faulenbacher Tal zwischen dem Füssener Ortsteil Bad Faulenbach und dem Alatsee. Wir wandern zunächst um den Alatsee herum. Tom weist mich auf eine Buche mit faulenden Stellen hin. Er meint, dieser Baum sei genauso wichtig wie die gesunde Tanne daneben. „Ein solcher Baum ist die Grundlage für neues Leben“, sagt Tom. Spechte können in faulenden Bäumen leichter Nester bauen, und außerdem wimmelt es in Totholz von Leben, das wir manchmal mit bloßem Auge überhaupt nicht erkennen können: Käfer, Würmer, Einzeller, Pilze … Und die wiederum sind Nahrungsgrundlage für zahlreicher Vogelarten wie Kleiber, Waldbaumläufer und Zwergschnäpper.

Wenn er einen Baum sieht, der Anzeichen aufweist, dass er im Inneren fault oder Lebensraum für beispielsweise einen Specht geworden ist, wird Tom aktiv. Dann spricht er mit dem Grundstückseigentümer und fragt ihn, ob er bereit ist, den Baum trotzdem stehen zu lassen. „Im Gegenzug kann der Eigentümer eine Entschädigung erhalten, denn es ist in unser aller Interesse, dass der Baum als Lebensraum für Insekten oder Vögel so lange wie möglich erhalten bleibt“, erklärt Tom.

 

Natur-Kümmerer

Informationstafeln aufstellen, nach Lebensräumen von Wildtieren forschen, Menschen im Gespräch aufklären und für den Naturschutz sensibilisieren: Das sind nur einige der Aufgaben, die Tom Hennemann als Gebietsbetreuer wahrnimmt. „Der Oberbegriff für meine Aufgaben ist Biodiversität“, erklärt Tom. „Dazu gehört auch, Tier- und Pflanzenarten in einem bestimmten Gebiet zu erfassen, den Zustand von Populationen zu beurteilen und Naturschutzmaßnahmen auszuarbeiten und umzusetzen. Zudem halte ich Kontakt zu sämtlichen Beteiligten wie den Fachbehörden und Tourismusorganisationen, damit die Maßnahmen von möglichst vielen Beteiligten getragen und unterstützt werden. Und schließlich gehört auch die Öffentlichkeitsarbeit und Informationsarbeit zu meinen Aufgaben.“

Viel Arbeit am Schreibtisch also und ein Tag im Freien wie heute ist definitiv nicht die Norm. Tom genießt ihn deshalb besonders. „Es ist ein Traumjob. Alles, was ich vorher gelernt habe, kann ich hier einbringen“, sagt er, während wir am Ufer des Alatsees entlang gehen.

Tom hat seine Kindheit auf einem Bauernhof in Niederbayern und auf einer Alm im Berchtesgadener Land verbracht. Er hat dann Forstwissenschaft studiert, jahrelang ein eigenes forstwirtschaftliches Planungsbüro gehabt und ist – als er merkte, dass er nicht für den Schreibtisch gemacht ist – zum Berufsjäger gewechselt. Nicht zuletzt ist Tom ein leidenschaftlicher Bergsportler. „Ich kenne verschiedene Facetten der Natur und kann unterschiedliche Sichtweisen nachvollziehen“, erklärt er. Seit 2018 ist er nun Gebietsbetreuer, der erste im südlichen Landkreis Ostallgäu. Er selbst bezeichnet seinen Job als „Kümmerer“. Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich durch verschiedene Beschlüsse und das EU-weite Schutzgebiete-Netz „Natura 2000“ dazu verpflichtet, Naturräume und -schätze zu erhalten oder zu verbessern. Damit dieser Naturschutz auf regionaler und lokaler Ebene funktioniert, gibt es Menschen wie Tom Hennemann.

 

Mit allen Sinnen durch die Natur

Bei einem stark verzweigten Baum bleibt Tom stehen. „Dies ist ein besonderer Baum. Wie erkennen wir, welcher Baumart das ist?“ Da der Baum weder Blätter noch Früchte trägt, ist das im Winter eine kleine Herausforderung. Ich hebe zwei Arten von Blättern vom Boden auf, eins davon ist ein Buchenblatt. An der Rinde des Baumes kann ich aber erkennen, dass es sich nicht um eine Buche handelt. Zu diesem Baum gehört also das andere Blatt, das auf der Seite mit den Blattnerven ein bisschen staubig weiß aussieht. „Das sagt mir, dass dies ein Mehlbeerbaum ist. Die findet man meistens auf kalkhaltigen, trockenen Böden wie hier“, erklärt Tom. „Dieser Baum hat keine wirtschaftliche Bedeutung, aber für die Artenvielfalt ist er wichtig.“

Laut Tom kann man nicht ohne Weiteres entscheiden, welche Baumarten wichtiger oder wertvoller sind als andere, denn in der Natur hängt alles mit allem zusammen. Tatsache ist, dass die Artenvielfalt seit Jahren abnimmt, und für den Erhalt der Naturlandschaften und einer lebenswerten Welt ist es entscheidend, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. „Bescheidenheit und Demut“, sagt Tom, „das ist es, was wir jetzt brauchen. Der Luxus, in dem wir gerade leben, ist nicht zukunftsfähig.“ Er ist überzeugt, dass diejenigen, die mit allen Sinnen durch die Natur gehen, genau wissen, was richtig und angemessen ist. „Bedenke, dass die Natur der Lebensraum von bestimmten Arten ist. Dann vergleiche das mit deinem eigenen Lebensraum, deinem Zuhause zum Beispiel. Wie gehst du damit um? Wie wünschst du dir, dass sich Gäste in deinem Lebensraum verhalten?“

 

Auf der Suche nach dem Uhu

Die Sonne verschwindet langsam hinter den Bergen. Das ist normalerweise die Zeit, um Naturschutzgebiete wie das Faulenbacher Tal zu verlassen, denn in der Dämmerung machen sich viele Tierarten auf die Suche nach Nahrung. So auch der Uhu. „Außerdem ist jetzt die Balzzeit des Uhus“, erklärt Tom. „In der Dämmerung macht sich das Männchen bemerkbar.“ Deshalb ist der Februar für ihn ein guter Monat, um zu schauen, wo sich die Lebensräume der Uhus befinden. Wir sehen nur die Silhouetten der Bäume und gehen langsam durch den Wald, bis Tom flüstert, dass wir stehen bleiben sollen. Ein paar Minuten später ertönt in der Ferne das warme „Uhuuu, uhuuu“. Wir lauschen eine Weile und gehen dann zurück. Ich habe keinen Uhu gesehen, aber für Tom reichen die Rufe der Vögel: „Ich weiß, dass sie da sind und dass es ihnen gut geht.“

Ab Mai finden regelmäßig Naturführungen von Tom Hennemann statt.  Z.B. „Buchenwälder – Vielfalt und Schönheit im Faulenbacher Tal“

oder „Im Reich der Steinadler“. Informationen dazu und weitere Führungen finden Sie im Füssener Veranstaltungskalender.