Eiskalte Tradition

Das Neujahrs-Fackelschwimmen im Lech

30. Januar 2023

Da steht es noch etwas verloren am Lechufer unterhalb der Füssener Altstadt: das neue Jahr. Jungfräulich frisch, nur ein paar Stunden alt. Bald wird 2023 baden gehen, aber ganz feierlich und dafür holen sich 90 Schwimmer aus dem gesamten Ostallgäu nicht nur kalte Füße.

Im Eisstadion Füssen machen sich die Wagemutigen der Ostallgäuer Wasserwachten und Tauchclubs sowie der DRLG-Gruppe Füssen bereit und lassen Winterjacke, Hose und Pulli in der Umkleidekabine, um sich mit einem Neoprenanzug gegen kuschelige fünf Grad Wassertemperatur zu wappnen. Bald werden sie in den Lech steigen und das neue Jahr mit einem frischen Bad begrüßen.

Organisiert wird das Fackelschwimmen von der Wasserwacht Füssen. Seit 2016 ist Maximilian Achatz als technischer Leiter (Mitte) dafür zuständig, dass alles rund läuft: Mitglieder anderer Wasserwachten und Tauchclubs aus der Region einladen, Fackeln besorgen und  die mit LED beleuchtete Jahreszahl umbauen, die in der Einsatzgarage der Wasserwacht ein Jahr an der Decke hängt, bis sie wieder gebraucht wird. Für die Bewirtung der Zuschauer auf der Lechbrücke und unten am Ufer sorgen die Mitglieder des Fördervereins der Wasserwacht. Insgesamt kommen so über 200 Stunden Arbeit für das Neujahrsevent zusammen.

Achatz selbst war mit 16 Jahren zum ersten Mal beim Neujahrs-Fackelschwimmen dabei, bei der Wasserwacht ist er, seit er acht Jahre alt ist. „Wasser ist quasi eine frühkindliche Prägung. Meine Eltern sind beide seit über 40 Jahren bei der Wasserwacht aktiv und sie ist wie eine zweite Familie für mich. Wir sind einfach eine tolle Gemeinschaft und anderen zu helfen, wenn sie in Not geraten sind, ist für mich sehr wichtig.“

316 Mitglieder hat die Organisation des Bayerischen Roten Kreuzes in Füssen insgesamt. 45 Aktive retten ehrenamtlich Menschenleben, bilden Rettungsschwimmer aus, geben Schwimmkurse und organisieren Veranstaltungen. An der Jugendarbeit liegt der Wasserwacht viel und dieses Engagement zahlt sich aus: 40 Kinder und Jugendliche zählt die Wasserwacht Ortsgruppe Füssen.

 

Auch Leon Opitz (li.) und Niklas Obendorf sind seit einigen Jahren dabei und schätzen das Miteinander bei der Wasserwacht. Sie finden das Neujahrs-Fackelschwimmen im Lech cool und freuen sich, dass es in diesem Jahr wieder stattfinden kann. Während Leon zum zweiten Mal mitmacht, hat Niklas heute seine „Lechtaufe“. „Ich bin tatsächlich ein bisschen aufgeregt, aber ich verlasse mich darauf, dass ich das gut packen kann“, meint der 15-Jährige und Leon ergänzt: „Wir passen alle gegenseitig aufeinander auf, wenn wir im Wasser sind, und wir sind ja auch alle gute Schwimmer. Beim letzten Mal mussten wir eher schauen, dass wir uns den Po nicht an den Steinen anhauen, weil der Lech so wenig Wasser hatte.“ Bald darauf bemerkt Niklas, dass er die Neopren-Handschuhe vergessen hat und ohne die geht natürlich gar nichts, wenn er nachher für eine halbe Stunde im eiskalten Lech baden geht. Aber Maximilian Achatz hat zum Glück immer eine große Kiste mit Ausrüstung dabei.

Leon hilft derweil dem am weitesten angereisten Schwimmer in dessen Handschuhe. Der Saunameister Ralf Peters (re.) ist extra von Scharbeutz an der Ostsee gekommen, um das erste Mal in den Alpenfluss zu steigen. Sein Arbeitskollege in der Therme daheim kommt aus Hopferau und so lernte er bei einem Besuch in Füssen am Stammtisch abends auch dessen Freunde von der Wasserwacht kennen. Als die ihm vom Fackelschwimmen an Neujahr erzählten, war für ihn klar: „Das muss ich auch haben, da mach ich mit“. Gesagt – getan, kurzerhand trat er der Wasserwacht bei und ist schon jetzt begeistert vom „bayerischen Menschenschlag und der Gemeinschaft in Füssen“.

 

In Kleinbussen werden die vielen Schwimmerinnen und Schwimmer ans Lechufer gefahren. Die Theresienbrücke unterhalb des ehemaligen Benediktinerklosters St. Mang ist schon gut gefüllt, auch direkt am Lechufer haben sich viele Zuschauer ihren Platz gesichert, um nachher einen guten Blick auf das Spektakel im Wasser zu haben. Längst sind es nicht mehr nur Füssener, viele Besucher reisen von weiter her an, weil sie sich das Fackelschwimmen nicht entgehen lassen wollen.

Mittlerweile ist auch die Jahreszahl am Lech ist nicht mehr allein. Auf der Kiesbank unterhalb von Bad Faulenbach machen sich die Schwimmer bereit und freuen sich über ihre erste Zusammenkunft im neuen Jahr. Erinnerungsfotos halten den besonderen Moment fest. Niklas Obendorf und Leon Opitz testen schon mal die Wassertemperatur an und Maximilian Achatz bekommt beim Fernsehinterview kalte Füße. Nachdem das Event pandemiebedingt zweimal hintereinander ausfallen musste, ist das Medieninteresse diesmal besonders groß.

Langsam bricht die Dämmerung an. Auch Jürgen Geisenfelder wird gleich in den Lech steigen. Der ehemalige technische Leiter ist sozusagen der Erfinder des Neujahrs-Fackelschwimmens und ein alter Hase: Seit über 60 Jahren ist er bei der Wasserwacht. Entstanden ist das Event übrigens aus einer Gaudi heraus: Seit 1960  springen die Wasserwachtler an jedem Faschingssamstag im Kostüm von der Theresienbrücke in den Lech. 1990 kam Geisenfelder auf die Idee, ein offizielles Event mit Zuschauern zu machen, das auch beworben wird und überlegte immer an Neujahr mit einigen Schwimmern eine 400 Meter lange Strecke vom Europahotel bis zum Ausstieg nach der Theresienbrücke mit brennenden Fackeln durch den Lech zu schwimmen, bzw. im oberen Teil auch zu waten.

1991 war es dann erstmals soweit und 13 Wasserwachtler begrüßten das neue Jahr mit einem Bad im Lech – gespannt verfolgt von den Blicken einiger hundert Neugieriger. Heute sind es bis zu 5000 Zuschauer und das Neujahrs-Fackelschwimmen ist eine beliebte Tradition in der Lechstadt geworden. „Mich reizt es immer noch, am ersten Tag eines neuen Jahres ins Wasser zu gehen. Dort habe ich am meisten Platz. Auf der Brücke ist es ja ganz voll. Außerdem ist es ein Erlebnis, sich durch den Lech treiben zu lassen und zu sehen, wie die Zuschauer auf der Brücke in der Dunkelheit langsam Konturen annehmen, die Böller über den Lech knallen und alle gut drauf sind.“

Bildrechte: Wasserwacht Füssen

Die beleuchtete Jahreszahl kam übrigens erst mit dem 700-Jährigen Stadtjubiläum 1995 hinzu. Zuvor bildeten die Schwimmer mit ihren Fackeln eine Formation mit der Jahreszahl. Auch König Ludwig II. und seine Cousine Sissi waren beim Fackelschwimmen schon mit von der Partie – im Schwanenboot neben den Schwimmern. Ein einheimisches Paar mimte die beiden zum Start des Musicals Ludwig² im Festspielhaus Füssen. „Nach dem dritten Mal war es denen aber zu kalt. In dem dünnen Kleidle, was die Sissi anhatte, hätt’s mich auch gefroren“, meint Jürgen Geisenfelder.

 

Endlich ist die blaue Stunde angebrochen. Die Fackeln werden angezündet und Maximilian Achatz übt mit den Schwimmern gemeinsam laut den Neujahrsgruß, den sie an der Brücke zu den Zuschauern nach oben schicken. Dann wird die Jahreszahl zu Wasser gelassen. Ein letztes Prüfen, ob der Anzug auch gut geschlossen ist, Flossen an, Fackel festhalten und ab geht es in den Lech.

Fast lautlos steigen die Mutigen ins Wasser. Der kalte Lech spiegelt das sanft das Licht ihrer Fackeln wieder. Wetter und Stimmung sind perfekt: Heute hat die Luft moderate acht, der Fluss gnädige fünf Grad. Von 15 plus bis 15 Grad minus Außentemperatur haben die Schwimmerinnen und Schwimmer schon alles erlebt. „Am Anfang prickelt das Wasser wie kleine Nadelstiche, da ist es schon mal ordentlich kalt. Aber durch die eigene Körpertemperatur heizt sich das Wasser im Neoprenanzug schnell auf und diejenigen, die Trockentauchanzüge tragen, merken von der Kälte eh nicht viel. Da ist es den Leuten bei Minusgraden auf der Brücke meist kälter als uns im Wasser“, meint Maximilian Achatz lachend.

Mit der Jahreszahl voran laufen die Schwimmer achtsam Schritt für Schritt im Lech, bis das Wasser immer tiefer wird und sie sich in Richtung Lechbrücke treiben lassen. „Im Lech müssen wir schon auf die Strömung aufpassen. Dieses Mal hat er ziemlich viel Wasser, da kann es passieren, dass es einen abtreibt. Aber jeder passt auf seinen Nachbarn auf“, erzählt Maximilian Achatz. Auf den im Flussbett liegenden Steinen können die Schwimmer auch leicht ausrutschen oder sich Füße und Beine anschlagen, denn in der Dunkelheit sind sie nicht zu sehen.

 

Auf einer Sandinsel unterhalb des Baumgartens stehen die Füssener Böllerschützen, die traditionell mit ihren mit Schwarzpulver gestopften Hand- und Schaftböllern den Startschuss für das Neujahrs-Fackelschwimmen geben. Sobald die Jahreszahl auf ihrer Höhe angekommen ist, schließen sie noch ein paar Mal Salut. „Wir finden es toll, dass die Schützen immer mit dabei sind. Der letzte Knall ist besonders laut, da vibriert der ganze Körper von der Druckwelle im Wasser, das ist gigantisch“, berichtet Achatz. „Allerdings hebe ich mir immer ein Ohr zu, die andere Hand brauche ich zum Halten der Fackel.“

An der Brücke stoppen die Neujahrsschwimmer für einen kleinen Augenblick, um den Zuschauern gemeinsam alles Gute zum neuen Jahr zu wünschen. Die honorieren die Kaltbader mit einem dicken Applaus. Noch ein paar Meter, dann können sie wieder aus dem Lech steigen.

 

Nach einer halben Stunde ist es geschafft. Im Hintergrund beleuchtet von Feuerwerksraketen, steigen sie wie Helden wohlbehalten aus dem kalten Fluss. Die erste Herausforderung des neuen Jahres haben sie gemeistert. Für die meisten ein richtiger Adrenalinkick. „Das ist immer ein unglaubliches Gefühl“, meint Achatz und auch Leon und Niklas sind begeistert, als sie die Rampe nach oben laufen. „Kalt und cool“, lachen die beiden.

Ralf Peters (li.) von der Ostsee ist hinterher von der starken Lechströmung überrascht. Einmal hat es ihn tatsächlich abgetrieben: „Ich bin auf das Meer mit seiner Unterströmung und den kurzen, harten Wellen trainiert. Aber beim Fluss sieht man gar nicht, wie viel Druck durch die Fließgeschwindigkeit herrscht.“ Trotzdem war es für ihn eine tolle Erfahrung und er will auf jeden Fall wieder dabei sein. Jetzt gibt es aber erst einmal einen heißen Punsch oder Glühwein und dann nichts wie zurück zum Eisstadion, um in trockene, warme Kleidung zu schlüpfen.

Noch während das Feuerwerk den nachtblauen Himmel beleuchtet, ist auch die sechs Meter lange Jahreszahl nach ihrem Lechbad wieder am Ufer und eine Fotoattraktion für die Besucher, die per Social Media Neujahrsgrüße aus Füssen in die ganze Welt verschicken. Da kann das frische Jahr ja nur richtig gut werden.