Bilderwelten Hohes Schloss

Täuschungen, Lechgeister und starke Frauen –
Die Kunstschätze im Hohen Schloss Füssen

23. Dezember 2020

Was sich mit diesen Schlüsseln alles aufschließen lässt, kann sich sehen lassen. Beeindruckende Bilderwelten vom Mittelalter bis zur klassischen Moderne. Sie erzählen nicht nur Geschichten, sondern sie offenbaren, was Menschen in den verschiedenen Epochen beschäftigt und bewegt hat. Hinter dicken Mauern abgeschirmt entfalten sie lautlos ihre Wirkung.

Doch fangen wir beim ersten Kunstwerk an: dem Hohen Schloss. Es zählt zu den bedeutendsten spätmittelalterlichen Profanbauten Deutschlands. Mächtig thront es über der Altstadt auf dem Schlossberg und zeichnet zusammen mit dem Kloster Sankt Mang das charakteristische Gesicht Füssens. Beeindruckend sind die prachtvollen Erker, verschnörkelten Fenster- und Türumrahmungen und farbigen Eckquader – doch alles eine Täuschung. Dafür eine besonders gelungene. Die Illusionsmalerei war bereits im Mittelalter beliebt. Dort, wo architektonische Elemente nicht aus Stein gearbeitet werden konnten, wurden sie auf Fassaden gemalt. Selbst der Türmer ist eine Illusion und winkt aus einem Fenster auf die Stadt hinunter. Früher wachte dort oben natürlich ein echter und dieser schlug Alarm, wenn Gefahr durch Brände oder Überfällle drohte.

Der heutige Schlossberg hat eine bewegte Geschichte – und er verleitet dazu, in andere Zeiten einzutauchen, Verbindungen aufzuspüren und den Horizont zu weiten. In der späten römischen Kaiserzeit stand auf dem Ausläufer dieses Höhenzuges das Kastell Foetes, um den Lechübergang zu sichern. Füssen war ein Tor auf der Alpentransversale zwischen Norditalien und der Donau und verkehrsstrategisch wie wirtschaftlich bedeutsam für die Römer. Am Ende dieser Ära verfiel das Kastell, nicht aber die Verkehrs- und Handelsachse, die vor allem im Mittelalter als Verbindung zwischen Venedig und Augsburg wichtig war und Füssen zu einem begehrten Rast- und Haltepunkt machte. Nachdem Füssen Ende des 13. Jahrhunderts das Stadtrecht verliehen worden war, begann der bayerische Herzog Ludwig der Strenge 1291 mit dem Bau einer Burg auf dem Schlossberg – illegal. Denn der Berg gehörte Abt und Konvent des Klosters Sankt Mang, das im 9. Jahrhundert die Gegend prägte und sie duldeten keine Zwingburg über sich. So musste Ludwig die Bauarbeiten einstellen. Es war Augsburgs Bischof Friedrich I., der den Schlossberg 1322 erwarb und die bis dahin wohl nur ein- bis zweigeschossigen Burgmauern zu einem stattlichen Pflegeamtssitz ausbauen ließ. Dieser war zuvor auf der Burg Hopfen am See gewesen.

Von diesem Zeitpunkt an wurde weiter gebaut, erweitert, befestigt. Aus der Burg wurde vor allem unter dem Bischof Friedrich II. von Zollern ein beeindruckendes Burgschloss mit Wehrgängen, Türmen und Zwingerbefestigungen. Die Fürstbischöfe von Augsburg verweilten häufig während der Sommermonate auf dem Hohen Schloss, aber auch Kaiser Maximilian I., der von 1492 bis 1518 viele Male ins florierende Füssen kam, um den Sommer und den Herbst hier zu verbringen. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts mussten die Stadt und damit auch das Schloss viele Stürme überstehen: den Dreißigjährigen Krieg, Brände, Plünderungen und die Besetzung durch napoleonische Truppen. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Schloss säkularisiert und fiel an das Königreich Bayern. Es diente unter anderem als Lazarett, Gefängnis und Gericht. 2005 wurde hier das letzte Urteil gesprochen, seitdem wird der Süd- und Westtrakt vom Finanzamt Kaufbeuren und dem Staatlichen Bauamt Kempten genutzt. Die im Südflügel untergebrachte Veitskapelle ist während der Öffnungszeiten der Staatsgalerie zugänglich. Sie gilt als höchstgelegene Schlosskapelle Deutschlands und ist als Trauzimmer des Standesamt Füssen ausgewiesen.

Das Innere des großen Nordflügels birgt die vornehmsten Räume des Hohen Schlosses. Unter dem Augsburger Bischof Friedrich von Zollern, der auch den Ausbau zum Burgschloss vorantrieb, wurde der Flügel mit Residenzräumen und einem prächtigen Festsaal ausgestattet. Seit 1931 ist hier eine Filialgalerie der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen unterbracht, seit 1982 zusätzlich die Städtische Gemäldegalerie. Beide Galerien haben einen eigenen Spannungsbogen, bringen einem die Lebenswelt des Mittelalters und ihre Ideale mit Heiligenlegenden und biblischen Szenen näher und geben Einblicke in das Schaffen romantischer Maler bis hin zur klassischen Moderne. Ein Raum ist ganz Füssener Altstadtansichten gewidmet.

Neben den Werken der „Münchner Malerschule“ um Carl Spitzweg, Adolf Lier und Joseph Wenglein sind zahlreiche Gemälde von Oscar Freiwirth-Lützow zu sehen. Der Maler entdeckte Füssen als Rückzugsort. Mit seiner Familie kam er so oft wie möglich aus München angereist, bis er 1917 dann ganz nach Bad Faulenbach zog. Der auch ökonomisch erfolgreiche Kunstschaffende hatte ein gutes Gespür, was potentielle Kunden ansprechen könnte und er verschmolz unterschiedliche Kunstrichtungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts miteinander. Seine Bilder zeigen das „Alltägliche“ wie Landschaften, Porträts, auch viele seiner Familie. Bekannt wurde er vor allem durch seine gegenständlichen Darstellungen des bürgerlichen Realismus, wie u.a. sein Monumentalgemälde einer Fronleichnamsprozession im Schweizer Kanton Wallis.

Im zweiten Stock beginnt die Ausstellung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mit spätgotischen Tafelbildern und Skulpturen aus dem Allgäu und Bayerisch-Schwaben mit einem Paukenschlag. Hinter dem schweren, hölzernen Spitzbogenportal betritt man das Schmuckstück des Hohen Schlosses: den sogenannten Rittersaal. Der Blick wandert sofort zur Decke: 50 prächtig geschnitzte Kassetten aus Weichholz zieren den Festsaal. Die neun Mittelfelder sind mit Halbfigurenreliefs geschmückt. Sie zeigen u.a. die Augsburger Bistumspatrone, verschiedene Bischöfe und die Muttergottes in der Mitte. Sie ist wegweisend für das Thema, das in diesem Saal mitschwingt: Starke Frauen. Überraschend?„Mit Maria, Maria Magdalena, der Märtyrerin Katharina und Kaiserin Kunigunde sind hier einige Frauen dargestellt, die den Mut hatten, an etwas zu glauben und das bis zum Ende gelebt hat, egal wie schwer und schmerzhaft der Weg für sie gewesen sein mag“, meint Dr. Anton Englert, ehemaliger Leiter der städtischen Museen.

Geschichten wie die von Kunigunde, der Gemahlin Kaiser Heinrichs II., sind eindrucksvoll auf Tafeln aus der Werkstatt oder Schule von Hans Holbein dem Älteren Anfang des 16. Jahrhunderts dargestellt. Wie in einem guten Buch wird der Betrachter mitten in die Geschichte hineingenommen. Nichts bleibt unversucht, die gottesfürchtige Frau ins Verderben zu reißen. Da hängt sich selbst noch ein Teufel an die Seelenwaage. „Die Menschen im ausgehenden Mittelalter konnten meist nur wenig oder gar nicht schreiben und lesen. Wenn man solche Bildergeschichten in der Kirche aufstellte, wo es wenig Ablenkungen gab, konnte man der Gemeinde christliche Sichtweisen besser vermitteln“, erklärt Anton Englert. „Jedes Detail war hier wichtig, genormt und codiert. Danach hat so eine Geschichte bei den Leuten gesessen.“

Wie die Werke nach Füssen kamen, ist nicht bei jedem einzelnen geklärt. Dieser Altar der Heiligen Sippe von einem Allgäuer Meister um 1520 wurde vermutlich aus Sonthofen nach Füssen überführt. Auch hier sind wieder starke Frauen zu sehen: die Heiligen Agatha und Dorothea.

Beeindruckend ist aber auch die überlebensgroße Figur des Salvator Mundi von 1494, auf dem durch das Eigenwappen von Fürstbischof Friedrich II. und das Wappen des Hochstifts Augsburg auch der lokale Bezug gut zu erkennen ist. Christus als Heiland und Erlöser der Welt, das höchste Lebensziel für die Menschen im Mittelalter, schaut den Betrachter direkt an. Der unbekannte Maler stellt ihn segnend dar, mit der Weltkugel in der Hand. Anstatt der damals üblichen Form als Kristallkugel oder Reichsapfel, ist in dieser Weltkugel eine Landschaft mit Bergen und Meer, Vögeln, Fischen und sogar einem Steinbock auf dem Gipfel zu sehen. „Eine ganz anders ausgeführte Darstellung des Salvator Mundi von Leonardo da Vinci ist vor einigen Jahren für über 450 Millionen Dollar als teuerstes Gemälde der Welt versteigert worden. Ich finde, dass die im Hohen Schloss gezeigte Darstellung dem Salvator Mundi von Leonardo in ihrer Wirkung auf den mittelalterlichen Betrachter nicht nachsteht“, meint Anton Englert.

Nicht nur an den Wänden hängen spannende Bilderwelten. Wer aufmerksam vom Rittersaal nach draußen blickt, dem werden in den Fenstern drei besondere Glasgemälde mit den Kardinaltugenden sowie eine auf 1504 datierte Vierpassscheibe mit Jagdszenen auffallen. Letztere wurden vermutlich nach Entwürfen von Hans Holbein dem Älteren und dem Meister des „Mittelalterlichen Hausbuchs“ umgesetzt.

Von Tür zu Tür öffnen sich neue Blickwinkel und Geschichten. Sinnbilder, die durch ihre Symbole, Attribute und Zeichen auf einen höheren, übergeordneten Inhalt verweisen. So wie die Legende des Heiligen Magnus, die im Hohen Schloss auf vier Tafeln mit 16 Bildern zu sehen ist und um 1570 für die Abtskapelle oder den Altarraum des Klosters Sankt Mang angefertigt wurde. Der Wandermönch wurde vom Kloster Sankt Gallen ins Allgäu entsandt, um den christlichen Glauben zu festigen und ließ sich im 8. Jahrhundert am Lechufer nieder. „Mang“ wie ihn die Allgäuer gern nennen, ist nicht nur Stadtpatron von Füssen, sondern auch Patron der gesamten Region. Der Bischof von Augsburg gründete im 9. Jahrhundert am Ort seiner Mönchszelle das Benediktinerkloster St. Mang, das über 1000 Jahre das religiöse, kulturelle und wirtschaftliche Zentrum der Region war. Auf dem Stifterbild, das sozusagen als Einleitung der Magnuslegende dient, ist der Heilige mit seinem Attribut, dem Drachen, zu sehen. Gegenüber kniet Abt Alber neben dem Wohltäter des Klosters, Frankenkönig Pippin dem Jüngeren. Auch der Bauzustand von Füssen ist gut erkennbar. Das Schloss sieht dem heutigen schon sehr ähnlich, das Kloster ist noch im Zustand vor seinem barocken Umbau, der 1701 begann.

 Die Magnuslegende spannt einen Bogen vom fernen Irland bis ins Allgäu nach Füssen. Auf jeder Tafel werden mehrere Ereignisse aus seinem Leben in einem Bild gezeigt. Es bereitet wirklich Vergnügen, die Szenen ganz genau zu betrachten und zu entschlüsseln. Man sieht die Lebensader Füssens, den Lech mit Flößern und die Alpen. Obwohl es nicht Sinn und Zweck war, auf den Holztafeln Details realistisch darzustellen, hatten die Künstler offenbar Freude daran, die Allgäuer Landschaft möglichst genau zu zeigen. „Ich kann mir vorstellen, dass die Maler durchaus Humor hatten. Wie die Lechgeister vor Magnus eine Grimasse schneiden und wie auf dem Kindergeburtstag mit Wasser herumspritzen, lässt darauf schließen, dass die Schaffenden trotz aller Vorgaben künstlerische Freiheit hatten“, meint Anton Englert. Magnus zeigt sich denn auch ziemlich unbeeindruckt von den Geistern und mit seiner Gelassenheit kann er sogar ohne Gewalt den Drachen zähmen, während der Heilige Georg beispielsweise stets als Drachentöter dargestellt wird.

In den Privatgemächern des Bischofs werden die Schätze nicht weniger, so z.B. die Tafel mit 126 kleinen Bildern, die minutiös das Leben und Wirken des Heiligen Franziskus zeigt. Und auch den Raum der Wunder sollte man auf keinen Fall verpassen: Vom Himmel und aus Jesus Wundmalen regnet es Hostien wie Schnee. Waren solche Darstellungen nicht unglaubwürdig für die Menschen? „Nein“, meint Anton Englert, „heute sehen sich viele Menschen doch auch gerne Science Fiction-Filme an. Im Mittelalter haben sie sich gewundert, dass es Brot vom Himmel regnen kann, aber es nicht für unmöglich gehalten. Die Frage nach Naturgesetzen spielte hierbei keine Rolle. Je größer der Heilige, desto größer war das Wunder. Es ist ja noch heute so, dass diese die Voraussetzung dafür sind, dass jemand heiliggesprochen wird.“

Für ein ungewöhnliches Kunstwerk im Hohen Schloss muss man den Wehrgang durchqueren und ein paar Höhenmeter bewältigen. Es geht hinauf zum Tor- bzw. Uhrturm. Durch die Schießscharten und die Fenster sieht man wie Puzzleteile immer wieder neue Ausschnitte von der Altstadt, dem Forggensee und den Bergen. Eine steile Treppe führt an zellenartigen Stuben vorbei. Deren Trennwände sind übersät mit Worten und Namen, die ins Holz eingeritzt sind. Sie könnten von Gefangenen stammen, die hier vorübergehend untergebracht wurden. Im 6. Stock sieht es dagegen wohnlich aus. Kleine Sitzbänke und eine Kochstelle dienten dem jeweiligen Türmer zum Aufenthalt. Er wachte also nicht nur, sondern lebte hier auch. Am Eingang zu seiner Stube hatte einer der Türmer wohl Lust, selbst zu malen. An der Wand ist ein Fragment mit einer Jagdszene zu sehen.

Das schönste Gemälde der Ausstellung ist aber der Blick aus den kleinen Fenstern der Türmerstube: Füssen liegt einem zu Füßen. Die Häuser, der Lech, der Säuling als Hausberg der Stadt – ein Traumbild. Spätestens jetzt holen Füssens Bilderwelten uns Besucher aus dem Alltag – und vielleicht machen sie auch wieder etwas Mut, an kleine und große Wunder zu glauben.