Ein Haus für den König

25 Jahre Festspielhaus Neuschwanstein

1. Akt: Traum und Wirklichkeit

“Ich habe den Entschluss gefasst, ein großes, steinernes Theater erbauen zu lassen.” 

Dieser Anblick wäre - abgesehen von seinen Schlössern - vermutlich das höchste Glück für König Ludwig II. von Bayern gewesen: Ein Musiktheater zu Füßen von Schloss Neuschwanstein - was für eine kühne Idee! Sie könnte direkt dem visionären Geist des „Märchenkönigs“ entsprungen sein. Um die romantische Klangwelt des von ihm zutiefst verehrten Komponisten Richard Wagner aufzuführen, hätte er gerne ein monumentales Bauwerk als Kunsttempel in München geschaffen - und vielleicht noch viel lieber im Allgäu. Doch weil dieses Projekt in München auf wenig Gegenliebe stieß, entstand die königliche Hommage an Musik und Schaupiel auf Wagners Wunsch ab 1872 in Bayreuth. 

128 Jahre später öffneten sich am 7. April 2000 dann erstmals die Türen zum heutigen Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen. Ein technisch hochmoderner Theaterbau war entstanden – exakt auf der Blickachse zum Schloss Neuschwanstein auf der gegenüberliegenden Uferseite des Forggensees gelegen, mit einer der größten Drehbühnen Europas und einem 90.000 Liter fassenden Wasserbecken. 

Auf dem Programm standen allerdings nicht Richards Wagners opulente Bühnenstücke über Sagenhelden wie Parzival, Siegfried oder Tannhäuser, sondern hier feierte ein Stück über den König selbst Premiere: das Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“. 

Der Ideengeber für die kühne Vision, am Originalschauplatz ein eigens für dieses Musical gebautes Theater zu schaffen, war Stephan Barbarino. Der Musicalautor und Theaterregisseur wunderte sich, dass das Leben von König Ludwig II. zwar in Literatur und Filmen gefeiert wurde, dass es bis dahin allerdings noch nie Thema eines Bühnen- oder Musikwerkes war. Er wählte das Musical als Kunstform für sein Projekt, ein vergleichsweise junges Genre. 

Barbarino fing mit seinem Musical bei Null an: Es musste eine Dramaturgie entwickelt, ein Komponist gefunden, Bühnenbilder entworfen, Kostüme genäht und Darsteller engagiert werden - und vor allem brauchte es einen Platz, an dem es gespielt werden konnte. Mit seiner Frau Josephine begutachtete er zahlreiche Grundstücke und schließlich wurden die beiden im Bebauungsplan von Füssen auf eine schraffierte Fläche direkt am Forggensee aufmerksam: Hier hatte die Stadt ursprünglich ein Sportzentrum geplant, doch letztlich bekamen die Barbarinos den Zuschlag, dort ihr Musicaltheater zu verwirklichen – quasi am Originalschauplatz.  

Sie akquirierten daraufhin Geldgeber für ihr 37 Millionen teures "Musical Theater Neuschwanstein, für das eigens eine Halbinsel aufgeschüttet wurde. Dabei orientierte sich die Architektin Josephine Barbarino in ihrer Planung an den Entwürfen, die Gottfried Semper für das ursprünglich von König Ludwig geplante Wagner-Festspielhaus in München entwickelt hatte. 

Die Rechnung schien zunächst aufzugehen: Als das Musicaltheater den Betrieb aufnahm, kamen zahlreiche Besucher, darunter auch viele Prominente, nach Füssen, um sich das biografische Musical "Ludwig II. - Sehnsucht nach dem Paradies" anzusehen. Die Auslastung war sehr gut, doch der Businessplan hatte 400 ausverkaufte Vorstellungen pro Jahr vorgesehen. Unrealistisch, wie sich später herausstellte. Ende 2003 war das Theater insolvent. 

2005 wurde mit der aufwändigen Neuproduktion "Ludwig² - Der Mythos lebt" im nunmehrigen „Festspielhaus Neuschwanstein“ versucht, an den Erfolg des ersten Ludwig-Musicals anzuknüpfen. Dieses Mal scheiterte die neu gegründete Produktionsfirma an der Refinanzierung der sechs Millionen teuren Entwicklungskosten und so gingen im Frühjahr 2007 erneut die Lichter im Theater aus. Danach wurde das Haus als Bespieltheater für Fremdveranstalter vermietet, doch auch dieser Idee war langfristig kein Glück beschieden und 2016 meldete die Betreibergesellschaft Insolvenz an. 

Doch das sollte nicht das Ende sein, ganz im Gegenteil. Die Rettung kam aus Bangkok. Wie das? Davon erzählt der 3. Akt dieser Geschichte.

2. Akt: Adler und Möwe

Zwei, die von Stunde Eins der Proben für das erste Musical "Ludwig II. - Sehnsucht nach dem Paradies" dabei waren, sind der Deutschamerikaner Jon Geoffrey Goldsworthy und die Schweizerin Barbara Buhofer. Sie schlüpften viele hundert Mal in die Hauptrollen als König Ludwig II. und dessen Cousine und Seelenverwandte Sissi. Im Januar 2000 begannen die Proben für das Musical, die Weltpremiere war bereits drei Monate später. Für beide eine spannende und magische Zeit. „Was damals in Füssen geschaffen wurde, war sehr besonders", erzählen die beiden und Barbara Buhofer meint: „Manchmal wusste ich nicht, was „kitschiger“ ist: Das, was ich auf der Bühne spiele oder der Vollmond über den Bergen und Neuschwanstein, wenn ich nach den Proben in meine Unterkunft geradelt bin."

Als die Darsteller in Füssen ankamen, war der Forggensee - wie immer in der Winterzeit - leer, und bis auf den großen Probenraum im ersten Stock sei das Musicaltheater noch eine Baustelle gewesen. „Wir haben stundenlang Walzer getanzt oder miteinander gefroren und sind alle durch den gleichen Prozess der Entstehung gegangen. Das hat uns als Ensemble zusammengeschweißt", berichtet die Sissi-Darstellerin.

Das Verrückte war, dass schon der Bau des Festspielhauses die Geschichte des Königs nacherzählte. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie er damals auf der Baustelle stand und sein Schloss Neuschwanstein um ihn herumwuchs. Das hatte definitiv etwas von Aufbruchsstimmung", meint Jon Goldsworthy. „Noch kurz bevor die Türen aufgingen, wurden die letzten Schrauben hineingedreht. Das war alles sehr knapp und auch sehr ehrgeizig."

Ehrgeizig waren nicht nur das Timing und der Bau selbst, sondern die gesamte Produktion: 150 Kostüme, 29 opulente Bühnenbilder mit Ballon- und Kutschfahrt mit echten Pferden, Maurischer Grotte und vor allem das mit Wasser gefüllte Bassin als Starnberger See, in den Ludwig in der letzten Szene steigt und "verschwindet". Bilder, die damaligen Besuchern bis heute in Erinnerung geblieben sind, wenn sie von der ersten Musicalproduktion erzählen. 

Auch die Komposition war sehr anspruchsvoll und opernnah, der Ablauf der Geschichte dagegen eher musicalähnlich. Wir waren als ausgebildete Opernsänger mit neun Vorstellungen pro Woche sehr gefordert. Dazu haben wir Auftritte im Fernsehen und selbstorganisierte Konzerte von Bad Kissingen bis Las Vegas gegeben, um das Musical zu promoten", erzählt Barbara Buhofer.

Die beiden Darsteller haben sich damals intensiv mit Biografien und Fachliteratur auf ihre Rollen vorbereitet und bekamen Sonderführungen in den Königsschlössern. „Ich habe jeden kleinen Schnipsel an Information gesammelt. So ist nach und nach ein Bild von Ludwig II. im Kopf entstanden, das sich mit meiner Lebenserfahrung gemischt hat, denn letztendlich muss ich eine Rolle zu meiner eigenen machen. Es war meine Vorstellung des Königs, die ich gespielt habe und mir was es wichtig, ihn nicht als Kunstfigur zu zeigen sondern von seiner menschlichen Seite", berichtet Goldsworthy. 

Zum 25-jährigen Jubiläum des Festspielhauses im März 2025 stand er noch einmal als Märchenkönig in vier halbszenischen Vorstellungen der ersten Musicalproduktion "Ludwig II. - Sehnsucht nach dem Paradies" auf der Festspielhausbühne „Erst habe ich mich gefragt, ob ich das schaffe. Doch schon bei den ersten Proben war alles wieder da, ich bin einfach wieder in die Rolle geschlüpft. Das hat mich sehr an die schöne und einprägsame Zeit damals erinnert, die mein Leben so verändert hat. Gleichzeitig war es auch ein Abschied für mich, so als ob ich das Zepter nun weitergegeben hätte. Auf jeden Fall bin ich richtig stolz, dass ich ein Bayernkönig aus Michigan sein durfte!

Du stolzer Adler, dort hoch auf den Bergen. 
Dir schickt die Möwe der See
Einen Gruß von schäumenden Wogen
Hinauf zum ewigen Schnee.

Barbara Buhofer ist zu den Jubiläumsaufführungen als Zuschauerin von der Schweiz nach Füssen gereist und war begeistert vom Auftritt ihres ehemaligen Gesangspartners. Hin und wieder kommt ihr auch zu Hause einer der Musicalsongs in den Sinn. 

Während des Interviews singt sie spontan "Sissis Liedeslied", dessen Songtext aus einem Originalgedicht der historischen „Sisi“ inspiriert ist, das sie bei einem Besuch auf der Roseninsel 1885 für Ludwig geschrieben hat. Auf der Skizze des renommierten Bühnenbildners Heinz Hauser ist die Szene im Zaubergarten schön zu sehen, die sich live dann so abspielte: Die Darstellerin saß bei diesem Solo auf einem Pferd aus Pappe (oben ist die Szene ihrer ehemaligen Gesangskollegin mit einem Einhorn abgebildet) und sie und "ihr" Ludwig wurden durch das Scheinwerferlicht immer transparenter. „Jon hat mir erst jetzt nach über 20 Jahren gesagt, dass ich ihn damit jedes Mal zum Weinen gebracht habe. Das hat mich sehr berührt." Und der ehemalige Ludwig-Darsteller ergänzt: „Barbara war nicht einfach nur die Süße auf der Bühne, sondern eine gestandene Persönlichkeit, die zusammen mit ihrer wunderschönen Stimme die Rolle perfekt ausgefüllt hat.

Auch wenn die beiden längst andere Wege gehen, die drei Jahre in Füssen war für sie eine besondere Erfahrung, die sie nicht missen möchten. 

3. Akt: Anruf in Bangkok

8.863 Kilometer Luftlinie von Füssen entfernt wurde Manfred Rietzler im Dezember 2016 zum wiederholten Mal von einem Insolvenzverwalter aus München angerufen. Dieser wollte wissen, ob der Unternehmer aus Marktoberdorf, der zu diesem Zeitpunkt schon seit elf Jahren seinen Lebensmittelpunkt in Thailand hatte, nicht doch das insolvente Musicaltheater am Forggensee kaufen wolle. 

Beruflich hatte der Elektroingenieur bis dahin mit Kunst gar nichts am Hut, dafür aber sehr viel mit digitaler Informationstechnik und das sehr erfolgreich. Überall dort, wo Daten drahtlos ausgelesen werden, steckt meist Rietzlers Technik dahinter, so zum Beispiel in Reisepässen und Bankkarten. Über 300 Patente nennt er sein Eigen, zudem hat er nicht nur viel Erfahrung beim Gründen eigener Unternehmen, sondern auch bei der Unterstützung von Start-ups. „Meine Entwicklungen geben mir einerseits den finanziellen Freiraum, um in interessante Projekte zu investieren, und andererseits zu erkunden, was man aus Opportunitäten machen  kann - auch außerhalb der Technik."

Die Hartnäckigkeit des Insolvenzverwalters sollte sich auszahlen: Manfred Rietzler sagte zu, unterschrieb den Kaufvertrag sechs Tage vor der schon terminierten Schließung des Theaters und war fortan Besitzer eines Festpielhauses. 

Zwar geht Rietzler gerne neue Themen an, doch zum ersten Mal hatte er keine klare Vision oder ein Ziel vor Augen. Für ihn als Realist und Technokrat, wie er sich selbst bezeichnet, ein ungewöhnlicher Schritt. Der Kauf sei eine reine Bauchentscheidung gewesen, erzählt er. „Das war schon leichtsinnig, aber ich habe mich als Ostallgäuer dafür zuständig gefühlt, denn ich konnte nie verstehen, wie so ein tolles Haus in dieser Lage in eine Situation kommen konnte, in den es niemanden mehr kümmert. Gleichzeitig hat mich die Herausforderung gereizt, aus dem Musicaltheater etwas zu machen."

Ganz nach Rietzlers Art begann er mit einer Fehleranalyse der alten Businesspläne - und auch ganz praktischen Schritten: Telefon anmelden, Stromrechnungen bezahlen, Brandschutz aktualisieren und ein neues Team aufstellen. 

Als ich nach dem Kauf dann in der ersten Aufführung der Neuproduktion von „Ludwig²“ saß, habe ich mich umgeschaut und gedacht, was für ein schönes Theater das ist. Die Anfangszeit war ein Erlebnis, doch im Hintergrund läuft immer die Kostenrechnungsmaschine mit. Wenn einem so ein Haus gehört, ist man ein Stück weit entzaubert, weil man immer etwas sieht, was gemacht werden muss. Ich betrachte das Ganze aus der Distanz, denn es braucht einen nüchternen Ansatz, was eine Produktion kosten darf und was sie möglicherweise einspielt, nicht andersherum", erklärt Manfred Rietzler. Keine leichte Aufgabe - vor allem wenn sich ein Technikunternehmer mitten in die Welt der Künstler und Kreativen wagt.

Gewöhnt an die Gepflogenheiten in der Industrie, in der Zahlen, Daten, Fakten zählen und wo spätestens in der zweiten Woche eines Monats eine betriebswirtschaftliche Auswertung vorliegt, wird Rietzlers Geduld auch nach acht Festspielhausjahren manchmal noch auf die Probe gestellt, vor allem bei einem unregelmäßigen Geschäft wie Ticketverkäufen. „Da kommt mir meine Erfahrung aus Thailand zugute: Der buddhistische Gleichmut der Menschen dort lehrt einen, wie man eigentlich miteinander umgehen sollte. Die oberste Regel lautet: In der Fassung bleiben und nicht sein Gesicht verlieren. Doch natürlich muss auch direkt angesprochen werden, wenn etwas schiefgelaufen ist. Die Balance zu finden, ist oft nicht ganz einfach." 

Schritt für Schritt holten Rietzler und sein Team das Theater aus der Krise und verhalfen ihm wieder zu einem positiven Image. Das Erfolgsrezept: „Ludwig²“ bleibt das Kernstück, aber zusätzlich sorgen weitere Musicalproduktionen für Abwechslung. „Unsere Spezialität sind Musicals mit deutschen, historischen Themen und starken Figuren wie die Päpstin oder Graf Zeppelin, die Werte wie Innovationskraft vermitteln und durchaus auch sozialkritisch sein dürfen. Das hat sich aus „Ludwig²“ heraus entwickelt."

Mit dem Musicalregisseur, künstlerischem Leiter und Theaterdirektor Benjamin Sahler hat der Unternehmer jemanden gefunden, der inszenieren kann und zudem genug Ideen hat, wie er finanzielle Mittel akquirieren kann. Als die Prdoduktion „Ludwig² - das Musical“ in Füssen wiederbelebt werden sollte, startete Sahler 2015 zusammen mit einem Geschäftspartner eine Crowdfunding-Initiative im Internet und sammelte Gelder für einen Neustart. Ein Erfolgsprojekt. Außerdem sorgte der Regisseur dafür, dass das Festspielhaus mit einer institutionellen Kulturförderung von Freistaat, Landkreis, Bezirk und der Stadt Füssen mehr Planungssicherheit hat.

So bekommt das Festspielhaus Neuschwanstein bekommt langsam, aber stetig sicheren Boden unter seinen Pfeilern. Seit 2023 werden jedes Jahr zwei neue Musicals in Füssen produziert. „Benjamin Sahler ins Haus zu holen, war ein wichtiger Schritt. Dank seiner Kreativität können wir nun eigene Musicals anbieten, das war ursprünglich nicht geplant. Außerdem sind wir uns bei der Bewertung sehr nah: Er als kreativer Kopf und ich mit dem Durchschnittsverständnis eines Konsumenten, der hochwertige Unterhaltung liebt, sind uns meistens einig, was an einer Produktion gelungen ist oder nicht.

Nach einigen Höhen und Tiefen ist das Festspielhaus Neuschwanstein für Manfred Rietzler nicht mehr nur eine Herausforderung, sondern auch ein Herzensprojekt geworden. Sein Ziel: Das Musicaltheater in einen nachhaltigen, eigenständigen Betrieb zu überführen, der auch Rücklagen für zukünftige Sanierungen aufbauen kann. „Im Moment ist noch alles auf Kante genäht und die Herausforderung ist noch nicht ganz gemeistert. So eine Bühne verschlingt Unsummen, da bleiben für das Make-up des Hauses oft keine Mittel mehr. Aber wenn das Festspielhaus mal alleine laufen kann, ist es mir wichtig, dass es ein Theater und ein Leuchtturm der Region bleibt." Auf jeden Fall ist er stolz auf sein Team mit 70 Vollzeitangestellten und 400 Minijobbern und die gute Zusammenarbeit mit Kuratorium und Förderverein, die alle mithelfen, des Königs Traum weiterleben zu lassen. 

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